akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 437 / 13.04.2000

Kanaksprak

Kanak Attak und Feridun Zaimoglu in Hamburg

Etwa 200 Leute drängelten sich am 16. März in den kleinen, schummrigen, leicht kellermäßigen Veranstaltungsraum der "Schilleroper" in Hamburg. Angesagt war "sound und text", eine Lesung mit Feridun Zaimoglu und Imran Ayata und Musik von Aziza A. (voc) und Turgay Ayaydinli (sax) sowie vom Plattenteller. Geladen hatte die Hamburger Sektion von "Kanak Attak", der neue Sound gegen die Zuschreibung ethnischer Identitäten, gegen liberales Multikulti und dessen Profiteure, Deutsche wie "Kanaken-Creme".

Das Publikum war jung, schätzungsweise zwischen Mitte 20 und 30, meistens sogenannte MigrantInnen (auch wenn sie in ihrer Mehrheit diese Bezeichnung wahrscheinlich so von sich weisen würden), die stadtbekannten AktivistInnen der weißen deutschen Antira- und FlüchtlingsunterstützerInnen-Szene fehlten. Alle Anwesenden waren sehr hip, sehr cool und vermutlich sehr intellektuell. Man könnte denken, auf das aktuelle Pendant zu den jungen ExistenzialistInnen aus den 50er Jahren zu treffen: Statt der schwarzen Kleidung heute Streetwear; statt schwarzer Sonnenbrillen lässiges Kaugummi-Kauen; statt Sartre und Camus Zaimoglu und Dekonstruktivismus; statt Bebop HipHop. Die postmoderne Version der intellektuellen Subversion von Jazz, Beat, Existenzialismus und Situationismus, alle irgendwie links, poststrukturalistisch geprägt und im kultur- und ethno-kritischen Diskurs bewandert.

Das Intro von Aziza A. und Turgay Ayaydinli - über eine Stunde nach offiziellem Veranstaltungsbeginn - war tatsächlich nur ein Intro, schade eigentlich, denn diese Stimme, begleitet von einem sehr ausdrucksstarken Saxofon, hätte ich mir durchaus länger anhören können. Überraschend auch die Songs in türkischer Sprache mit starken Jazz-Elementen. Ich gebe zu, hier mehr Rap oder zumindest funkigere Sachen erwartet zu haben.

Doch die eigentlichen Zugnummern des Abends waren Feridun Zaimoglu und Imran Ayata. Zaimoglu, der neue Star am Literaturhimmel, die Stimme der Straße, der proletarischen und subproletarischen Kids der zweiten und dritten Generation. Imran Ayata, Mitglied von Kanak Attak, einem losen Zusammenschluss von - meist jungen - KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen, mit pop- und kulturkrischem Background, von Frankfurt am Main ausgehend inzwischen auch in Berlin und Hamburg aktiv.

Die Lesung war auf hochinteressante Weise sehr polar ausgelegt. Abwechselnd lasen beide Autoren sehr unterschiedliche Texte und in einem sehr unterschiedlichen Vortragsstil.

Zaimoglu las hauptsächlich aus "Koppstoff", weniger aus seinen sprachlich radikaleren Büchern "Kanaksprak" und "Abschaum". Er artikuliert die - vornehmlich subproletarische - türkischstämmige Jugend aus den ärmeren Vierteln der Großstädte, die Kids von der Straße. Sein Vortragsstil wirkt manchmal etwas betont Gangsta-like. Er präsentiert literarische Selbstportraits "migrantischer" Jugendlicher, ohne Rücksicht auf Political Correctness, daher sehr erfrischend in den Brüchen: etwa die Überlegungen junger Frauen zum nicht-existierenden Zusammenhang von Klamotten und Denkvermögen; die Fantasien eines männlichen Halbstarken - des "Löwen von Istanbul", die Ausführungen zu Sinn und Zweck von Goldkettchen um kanakische Männerhälse im Gegensatz zu deutschem hippie-pennermäßigem Schlabberlook.

Im Kontrast dazu Ayata, der cool-intellektuelle Vertreter von Kanak Attak. Er liest aus einem längeren Text über "Sabri Abis Männercafe", einen türkischen Männertreff in der Nähe des Frankfurter Hauptbahnhofs, ein Ort, "der mir gefällt", u.a. weil man dort prima Fußball gucken kann und vor allem eines nicht ist: nämlich Migrant. Ayata trägt soziologisch-dekonstruktivistisch reflektierte Betrachtungen über dieses Cafe und seine Besucher (in wenigen Ausnahmen auch Besucherinnen) vor und stellt dabei vielschichtige Überlegungen an zu Fans, Galatasaray, Nationalismus, PC-Jargon, sexistischem Fluchen etc. Hier spricht der hippe, intellektuelle, männliche Doktorand, der Adorno zitieren kann, weder Getto-Kid noch weißer Deutscher ist, schon eher "Kanaken-Creme", zu der er aber auch nicht gehören will.
Die Differenz zwischen Zaimoglu und Ayata/Kanak Attak ist nicht nur eine literarische. Sie ist auch politisch. Zaimoglu präsentiert die rebellische und vielfach gebrochene MigrantInnenidentität als positiven Bezugspunkt. Kanak Attak lehnt dies ab. Die Gruppe ist bekannt geworden durch ein Manifest, in dem sehr rigoros gegen jede Form der Ethnisierung - auch in der soften Version des linksliberalen Multikulturalismus - Front gemacht wird. Trotz der rebellischen Selbstbezeichnung als "Kanaken" geht es Kanak Attak um eine antinationale Positionierung, die auch die Gefahr von Selbstethnisierung überwindet. Eine Position also, die Identitätspolitik ablehnt und damit durchaus auch in einem kritischen Spannungsfeld zu linken Selbstorganisationsversuchen unter MigrantInnen steht.

Aber die eigene Positionierung in all dem Identitäts-Wirrwarr fällt offensichtlich schwer. Einerseits lässt man kein gutes Haar an "Hybridität" und "Mültikülturalizm". Andererseits scheinen die Kanak-Attak-AktivistInnen aber geradezu Paradebeispiele für die modernen Uneindeutigkeiten und (Identitäts-)Grenzüberschreitungen zu sein. Wenn "Kanake" bei Zaimoglu als selbstbewusster Ehrentitel - gewissermaßen die deutsche Variante von "Nigger", wie sich die schwarzen HipHopper in den USA nennen (durchaus zum Entsetzen mancher von Black Power geprägten schwarzen Eltern) - authentisch klingt, hört sich das bei Kanak Attak doch leicht unglaubwürdig an. Und trotz aller Ablehnung von kategorisierenden Zuschreibungen: Gerade mit der Selbstbezeichnung als "Kanaken" bleibt Kanak Attak dem Identitätsdiskurs verhaftet und bezieht sich auch auf ihn. Der beim ersten Hören erfrischend provokante Slogan "Kanak Attak ist Haltung" wirkt beim weiteren Zuhören schal. Welche Haltung denn? Das fragt man sich sehr bald, und bekommt keine rechte Antwort.

dk

Kanak Attak im Internet:
www.matrosen.de


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