ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 439 / 08.06.2000
Der Kampf um ein autonomes, selbstverwaltetes Jugendzentrum war die Geburtsstunde dieses wohl zu den ältesten zählenden "Umsonst & Draußen"-Festivals in der BRD. Um die Idee eines autonomen Jugendzentrums ("JUZ, aber dalli" lautete die damalige Parole) zu transportieren, wurde 1979 im Billtalstadion des Hamburger Stadtteils Bergedorf das erste Wutzrock-Festival veranstaltet. Man wollte Öffentlichkeit bzw. Gegenöffentlichkeit zum Angebot des Hitparadenmiefs eines Dieter Thomas Heck. Vor allem aber sollte die eigene kulturelle Identität schon mal im Vorwege ausprobiert und vorgelebt werden. Das kulturrevolutionäre Element war Wegbegleitung zumindest in der ersten Phase der Realisierung der Festivals. Es ging nicht um eine Art Masterplan zur Erringung der lokalen kulturellen und politischen Hegemonie, sondern im Vordergrund stand die Idee der konkreten Umsetzung eines alternativen, immer politisch infizierten Lebens.
Bemerkenswert ist vor allem, dass Wutzrock nach diversen Höhen und Tiefen und trotz eines bis heute vollständig gewandelten Zeitgeistes und trotz eines abhanden gekommenen revolutionären Subjekts, immer noch sehr lebendig jedes Jahr auf dem Gelände am Eichbaumsee wieder aufersteht. In diesem Jahr findet das Open-Air-Festival nun schon zum 22. Mal statt. Darüber hinaus ist das damals durch u.a. mehrere Hausbesetzungen erkämpfte autonome Jugendzentrum noch existent bzw. funktioniert immer noch im Sinne seiner Mütter und Väter. Indikator für den unangepassten, immer noch aufrührerischen Geist mag sein, dass das JUZ "Unser Haus" in CDU-Anfragen an den Hamburger Senat schon mal als Dependance der "Roten Flora" bezeichnet wird.
Bundesweit gibt es noch einige andere Orte wie z.B. Vlotho oder Würzburg, an denen die Idee der "Umsonst & Draußen" Festivals weiterlebt. Vlotho errang Anfang der 80er Jahre auf Grund seiner Woodstock ähnlichen Größenverhältnisse von schon mal 70.000 ZuhörerInnen und den unvergessenen Schlammschlachten mehr als regionale Aufmerksamkeit. Neben der Idee, unkommerzielle Nonprofit-Veranstaltungen als authentischen Ausdruck des (damaligen) Lebensgefühls zu organisieren, war der Regen das einzige, das Wutzrock und Vlotho einte. In Vlotho gelang es nach den äußerst erfolgreichen Veranstaltungen von 1975 bis 1979 nicht, das Festival jährlich zu organisieren. Erst 1990 ging es weiter. 1993 waren wieder 70.000 nichtzahlende ZuhörerInnen erreicht. Danach gab es noch 1997 ein Festival. In diesem Jahr sollen nun vom 1. - 3. September wieder drei Tage alternativ gefeiert, Musik gehört und Drogen konsumiert werden. Vlotho war, anders als Wutzrock, immer eher ausschließlich das Festival des authentischen Lebensgefühls und nicht Ausdruck des politischen Widerstands.
Die ökonomische Umsetzung und Realisierung der Festivals ist überall gleich. Die Bands spielen zu Konditionen, die es nicht erlauben, Superstars zu holen. Der Verkauf der legalen Drogen bleibt in der Hand der Veranstalter, Stände werden gegen Gebühren vermietet, gearbeitet wird von vielen Leuten viel und umsonst.
In den Anfangstagen des Wutzrockfestivals sorgte das Bezirksamt Bergedorf bzw. die Hamburger Kulturbehörde über den jugendpolitischen Geldtopf noch für eine Ausfallbürgschaft. Nachdem diese Mittel bis 1995 mit nur noch 7.500 DM einen Tiefstand erreichten, stand aufhören oder anders weiter zur Debatte. Nach einigen Streitereien mit dem Hausrat vom JUZ gründete die Veranstaltungsgruppe den eingetragenen Verein "Galatic Entertainment" und setzte sich vorübergehend ein wenig vom Jugendzentrum ab. Sponsoring durch den in Bergedorf inzwischen entstandenen alternativen Mittelstand sollte nun die erforderlichen Geldmittel bringen: Der regionale Müsliladen, bzw. Fahrradschrauber um die Ecke und vielleicht sogar der Autodealer wurden zum Objekt der Begierde. Das Konzept ging auf und der Müsli-orientierte Bergedorfer Mittelstand half, das erforderliche Geld zusammenzubringen. Als einziges Großunternehmen, Das in dieser Szene Kultursponsoring für zweckmäßig hielt - ist Langnese dabei.
Inzwischen hat das Festival am Eichbaumsee einen festen Veranstaltungsort. Seit dem steigen die Besucherzahlen langsam aber stetig von früher vielleicht maximal 3.000 auf heutige 7-10.000 Menschen an.
Erst seit ca. vier Jahren ist dieser Veranstaltungsort unumstritten. Davor hatte der Ortsausschuss "Vier- und Marschlande" in Form von einer CDU-FDP-Initiative ständig versucht, das Festival von diesem Platz zu vertreiben. Unvergessen ist die Drohung mit dem Volkszorn durch den FDP-Abgeordneten Hansen vom September 1991: "Müssen die Leute erst mit dem Güllewagen dort hinfahren ...", war seine Aufforderung zu Bauernriots.
Wutzrock hat sich inzwischen etabliert. Als ein eher regionales Musikfest hat es in den Anfängen die Jugendlichen der kleinen subkulturellen Szene Bergedorfs in ihrer Positionierung im politischen Koordinatensystem unterstützt. Über den Hebel der Musik wurde im kleinbürgerlichen Speckgürtel der Metropole Hamburg kulturpolitische Orientierung geboten, die zumindest in der jährlichen Realisierung des Festivals bis heute trägt. Eine frühzeitige Umsetzung des Mottos "Think global, Act lokal".
Als gegenkulturelle Veranstaltung war Wutzrock auch ein Angriffspunkt der Neo-Nazis. 1988 plakatierten Neo-Nazis im Hamburger Schanzenviertel Wutzrockplakate mit dem Text "Unser Haus spielt Bimbomusik" über. Das JUZ "Unser Haus" war damals noch identisch mit der Wutzrock-Veranstaltungsgruppe.
Bei diversen Festivals musste mit Provokationen durch die Nazis gerechnet werden, zumal Wutzrock immer auch aktiv politische Gegenkultur unterstützte. Seit 1998 hat die deutsche Sektion von ICAD (International Comitee against Disapperance) ein Infozelt auf dem Festivalgelände. ICAD problematisiert weltweit das staatlicherseits organisierte Verschwindenlassen kritischer, engagierter Menschen. Dieses Jahr wird das Festival um ein weiteres Infozelt unter dem Motto "Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen" ergänzt. Inhalt ist der antifaschistische Widerstand gegen das immer offenere Auftreten der Neo-Nazis auf Hamburger Straßen.
Zu hoffen bleibt, dass diese real gelebte Alternative weiterhin als Orientierungsrahmen im Kampf um die Köpfe bleibt, dass es auch in Zukunft gelingt, das Staffelholz an die nachwachsenden Generationen Jugendlicher zu überreichen, um weiter gesellschaftliche Räume zu besetzen.
Hz
Wutzrock 2000: 14.-16. Juli in Hamburg am Eichbaumsee, Programm unter: www.bergedorf.de/kulturost
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