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akLogo   ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 450 / 10.05.2001

Zebda goes Zapatismus

Die Erfolge der Motivé-e-s bei den französischen Kommunalwahlen

Bei den Kommunalwahlen in Frankreich erzielte die im Dezember gegründete linksalternative Liste Motivé-e-s in Toulouse im ersten Wahlgang erstaunliche 12,4 Prozent der Stimmen. Demgegenüber haben linksradikale Bündnisse, wie die von der früheren KP-Europaparlamentsabgeordneten Aline Pallier angeführte Bündnisliste LCR, schwere Stimmenverluste einfahren müssen. Im zweiten Wahlgang bildeten die Moti-vé-e-s mit den Linksparteien ein Bündnis, das jedoch in der Stichwahl gegenüber dem Konservativen Philippe Douste-Blazy verlor (ak 449). Der Erfolg der Motivierten lässt sich nicht trennen vom Erfolg der linken Band Zebda, deren Sänger Salah Amokrane und Magyd Cherif für die Liste kandidierten. Mit ihrer Wahlkampagne, die eine Mischung aus Kulturevent, offenem Diskussionsprozess und geschickter medialer Selbstinszenierung war, konnte die Liste vor allem StudentInnen und ImmigrantInnen motivieren, sich wieder aktiv in politische Prozesse einzumischen.

Was die Liste der Motivé-e-s schon auf den ersten Blick von anderen grünen oder linken Gruppen unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie ohne ein Programm gestartet sind. "Wir wollen eine Debatte führen und nicht eine Reihenfolge von Wörtern festlegen", erklärt die zweite Kandidatin der Liste, Elisabeth Heysh. So verfolgten die Motivierten in ihrem Wahlkampf in Anlehnung an die ZapatistInnen ein basisdemokratisches Modell, bei dem es zunächst darum ging und geht, dass Menschen einer Stadt sich ihrer Wünsche und Bedürfnisse klar werden, um dann in einem zweiten Schritt nach Lösungen zu suchen. "Uns geht es um eine Wiederaneignung von Politik als das wesentliche Element einer guten Demokratie. Die Form, wie Demokratie heute funktioniert, lässt zu wünschen übrig. Es gibt eine Diskrepanz zwischen den professionellen Politikern, die politische Prozesse als ihr privilegiertes Terrain betrachten, und den Bürgern, die es nicht gewohnt sind, ihre Stimme innerhalb der öffentlichen Debatte zu erheben", erläutert Zebda-Sänger Salah Amokrane. Mit dem offenen Angebot an die BürgerInnen, sich in die Stadtpolitik einzumischen und gemeinsam an einem Programm zu arbeiten, trafen die Motivé-e-s vor allem den Nerv der jungen ToulouserInnen. So engagierten sich in den letzten Monaten vor der Wahl über 400 Menschen bei den Motivé-e-s. Insgesamt haben sich fünf Arbeitsgruppen zu den Themen Kultur, demokratische Teilnahme, Stadtteilpolitik, Internationale Zusammenarbeit und Für eine nicht-sexistische Gesellschaft gebildet, die sich über die Grundzüge des politischen Programmes verständigten. Neben diesen Diskussionsforen waren es aber vor allem die Konzerte und die vielfältigen künstlerischen Aktionen, die viele junge Menschen mobilisierten. So war der Wahlkampf der Motivé-e-s geprägt von einem bunten Nebeneinander von Politik, Kunst und Musik. "Wir müssen gemeinsam neue Aktionsformen und Räume finden, die es jedem erlauben, sich zu artikulieren", erklärt Amokrane.

Wiederaneignung der Politik

Dass diese Strategie aufging, hängt sicherlich mit der großen Popularität der Band Zebda zusammen. Die französisch-arabische Band ist sowohl in der subkulturellen Musikszene als auch in der ImmigrantInnenbewegung verankert. Seit Jahren engagiert sich die linke Band in der Sans-Papiers-Bewegung. Ihre Musik, die eine Mischung zwischen Rap, Rai und Rock ist, besticht vor allem durch ihre engagierten Texte, in denen Rassismus und soziale Ungerechtigkeiten angeprangert werden. Gleichzeitig ist die Musik äußerst eingängig und tanzbar, so dass sie sowohl auf Partys als auch auf Demos gespielt wird. Die Texte, die vom Leben in der Vorstadt, von den Problemen des Erwachsenwerdens oder von der Situation der Sans Papiers erzählen, überzeugen durch ihre Authentizität. Die Glaubwürdigkeit der Band hat sicherlich für einen großen Vertrauenvorschuss der Motivé-e-s-Liste gesorgt. Dennoch lässt sich der Erfolg der Liste nicht nur an der Popularität ihrer prominenten Kandidaten festmachen. Auch Analysen, die den Erfolg der Liste lediglich auf ihre geschickte Vermarktung in den Medien reduzieren, können die Erfolgsstory der Motivé-e-s nicht ganz erklären. Angesichts des großen Mobilisierungspotenzials vor allem im studentischen und migrantischen Milieu müssen sich die linken und linksradikalen Gruppierungen, die Stimmen an die Motivierten verloren haben, fragen, ob ihre politischen Formen und Instrumente ausreichend sind.

Mit ihrem sozialen und künstlerischen Engagement und mit der basisdemokratischen Organisationsform konnten die Motivé-e-s vor allem bei den politikverdrossenen jungen Menschen Punkte machen. In Interviews geben sich die Zebda-Sänger Magyd Cherif und Salah Amokrane bewusst volks- und bewegungsnah: Die Leute hätten einfach keinen Bock mehr auf weitere nicht eingehaltene Versprechen von Seiten der Politiker, deswegen verstehen sich die Motivé-e-s auch nicht als traditionelle Partei, die unter allen Umständen die politische Macht erlangen will.

Musik macht Politik

Ein Ziel der Motivierten war es, den Einzug der Konservativen ins Toulouser Rathaus zu verhindern. Aus diesem Grund schlossen sie sich in der zweiten Wahlrunde mit den Linksparteien zu einem Bündnis zusammen. Doch so ganz ungelegen kam den Musikern die Niederlage in der Stichwahl dann doch nicht. Denn die Vorstellung, jetzt selbst zu der Garde der geächteten Politschwätzer zu gehören, war für die Zebdas wohl alles andere als verlockend. So betont Salah Amokrane, dass das wahre Ziel der Motivé-e-s eigentlich das Erreichen der dritte Runde sei, "das heißt die Etablierung einer neuen Bewegung, die die Bürger wieder ins das Herz der politischen Debatte zurückholt". Die dritte Runde ist eingeläutet, nun wird sich zeigen, ob die Motivation der Motivierten für eine oppositionelle Politik weiter anhält.

Nicole Vrenegor


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