ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und PraxisNr. 451 / 07.06.2001

Vertrauensbildende Maßnahme

"Black Box BRD" im Kino

Die "Black Box" ist der Flugschreiber, auf den sich nach Abstürzen regelmäßig die Hoffnung richtet, den Ursachen, dem Warum der Katastrophe auf den Grund zu kommen. "Black Box BRD" nennt sich der Film von Andres Veiel, der seinen Blick auf eine der härtesten Konfliktlinien innerhalb der BRD wirft. Wolfgang Grams, der sich am 27.6.1993 angeblich selbst die Pistole auf den Hinterkopf setzt und abdrückt, sowie Alfred Herrhausen, der am 30.11.1989 bei einem RAF-Attentat ums Leben kommt, sind die Personen, um die es in dem Film geht. Eine Paarbildung, die misstrauisch macht. Deutsche "Karrieren", wie sie wohl kaum unterschiedlicher sein könnten. Der eine Topmanager der Deutschland AG, der andere Topterrorist der dritten RAF-Generation - und diese beiden vereint in einem Film.

"Black Box BRD" - ein Titel, der die objektive Aufzeichnung einer Maschine impliziert, frei von menschlichen Irrtümern. Somit eine Film gewordene, zweifelsfrei präsentierbare Story über eine Geschichte der BRD, die aber eine der offenen Fragen, Unaufgeklärtheiten und Ungereimtheiten ist. Insofern tut Andres Veiel gut daran zu erklären, dass "Black Box" für ihn auch der "schwarze Kasten ist, in den kein Licht kommt, das die Geschehnisse aufhellte und zugleich ein schwarzer Kasten im Sinne einer Projektionsbox, in die wir alles hineinprojizieren können, was wir kennen und glauben." Diese Aussage kommt dem Film sehr viel näher als das Bild des Flugschreibers. Denn aus dem Kino kommend, bleibt eine Frage stehen, bohrt unentwegt und anhaltend: Was will dieser Film eigentlich?

Eine Dokumentation des Persönlichen, der Intimität. Super-8-Filme, die Wolfgang Grams und seinen Bruder im Teenageralter am Strand zeigen. Aussagen von Alfred Herrhausens Witwe Traudl (heute CDU-Abgeordnete im hessischen Landtag), der Tochter und von Managerkollegen. Grams' Vater, der sich als Kriegsfreiwilliger zur Waffen-SS bewarb, aus dem "inneren Zwang heraus, dem Staat zu dienen". Die Freunde, Freundinnen und Gefährten, die den Weg der letzten Konsequenz nicht mitgingen. Dazu filmische Dokumente, die Persönliches in Gesellschaftliches betten: Otto Schily am Grab von Holger Meins, Joseph Fischer bei Frankfurter Straßenkämpfen - unsre Minister fürs Äußere und Innere in ihrer wilden Zeit. Und immer wieder rauschen drei schwere Daimler-Limousinen zwischen die Bilder, die Ikonographie der Macht, sich ebenfalls spiegelnd in den Glastürmen der Deutschen Bank, wo im Konferenzzimmer die Sekretärin Bleistifte auf Schreibblöcken dem Firmenlogo entsprechend ausrichtet.

Wer eine kohärente Geschichte, wer letzte Aufklärung über den aufgesetzten Schuss in den Hinterkopf oder eine mögliche Konspiration gegen den "Entschuldner" der so genannten Dritten Welt erwartet, wird unbefriedigt aus dem Kino gehen. Hier wirft "Black Box BRD" mehr Fragen auf als beantwortet werden. Und auf der anderen Seite gibt er Antworten auf Fragen, die sich erst gar nicht so aufdrängten.

Aus dem Gesagten der Befragten entwickeln sich Bilder der Protagonisten, Mosaiken gleichend, biografische Annäherungen mehr als "das, was gewesen ist". Herrhausen, auf einer NS-Eliteschule geprägt, vom Elternhaus geimpft, dass nur der, der immer mehr sich einsetzt als die Masse, es auch zur Elite bringt. Ambition und Ehrgeiz: Triebfedern seiner fast beispiellos steilen Karriere. Ein Mann, der im Bonanzastil ritt, sich verliebte und scheiden ließ, dabei berufliche Nachteile in Kauf nehmend. Der eine Woche nach der Schleyer-Entführung einen Brief für den Fall seiner Entführung hinterlegte, in dem er heroisch verlangte, dass auf unverantwortliche Erpressungen des demokratischen Rechtsstaates nicht einzugehen sei. Und er wird aus dem Munde von Bänkerkollegen zum "Siegfried" des Geldes, der aufräumte mit dem schlechten Gewissen, den Verhuschtheiten und Verschämtheiten, die bis dahin angeblich die Sachwalter des Mammons in den Türmen des Geldes plagten. Ein Idol für die jüngere Bänkergeneration, ein Visionär des Global Playing, ein Schmied des Weltkonzerns, der mit leichter Hand Fusionen erledigte: "Mit MBB hat Daimler alles, was schießen kann!" Herrhausen - ein Idealist der Macht und des Machbaren.

"Durch die Geschichte der Deutschen Bank zieht sich die Blutspur zweier Weltkriege und millionenfacher Ausbeutung, und in dieser Kontinuität regierte Herrhausen an der Spitze dieses Machtzentrums der deutschen Wirtschaft; er war der mächtigste Wirtschaftsführer in Europa", heißt es in der Erklärung der RAF vom 2.12.1989. Das Aufbegehren gegen deutsche Blutspuren, der Kampf gegen die Funktionäre und die Repression der Nicht-Einverstandenen im Deutschland der blühenden Landschaften, folgt in ihrer filmischen Repräsentation gern dem Brandzeichen persönlicher Pathologisierung oder Pubertärisierung: Terrorismus als persönlicher Defekt, als jugendlicher Leichtsinn oder überinterpretierter Idealismus, der nur in Gewalt sich entladen kann.

Wohltuend, dass Andres Veiel eben nicht dieser Art gestanzten Subjektivierung des Terroristen folgt, sondern aus den Sätzen der Freunde und Verwandten ein Substrat extrahiert, dass das Adjektiv persönlich tatsächlich auch verdient. Das Bemerkenswerteste an dieser Methode ist, dass sich Deutungen erschließen, die stringente Faktenhuberei gar nicht zu erfassen in der Lage ist. So ergeben sich ungeahnte Berührungspunkte dieser so verschiedenen deutschen Karrieren, etwa in beider Unbeirrbarkeit, im auf-der-Strecke lassen derer, die nicht folgen können oder wollen: Die Luft in der Chefetage scheint hier ähnlich dünn wie im Untergrund.

Und so wandelt sich die vermeintliche Schwäche von "Black Box BRD", nicht zu wissen, was er will, in die Stärke, Ausrufezeichen nicht nötig zu haben. Und wenn ein Film es schafft, auch nach dem Abspann anhaltend im Kopf zu bleiben, anzuregen und sich zu reiben an Bestehendem, ist das mehr wert als die bloße Bestätigung des Altbekannten.

Tim Gallwitz


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