Gute und böse Nazis  
  Balsam für die Volksseele - Eichingers Film "Der Untergang"

ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 487 / 17.09.2004

Am 16. September kommt der Film "Der Untergang - Hitler und das Ende des 3. Reichs" in die Kinos. Der Spiegel widmete dem monströsen Werk schon am 23. August eine Titelgeschichte - nicht nur im Vertrauen auf die "morbide Faszination", die von dem Thema ausgehe. Auch geschichtspolitisch ist der Film bedeutsam - ein weiterer Beitrag zur Serie "Das deutsche Volk als Opfer eines verrückten Führers".

Bernd Eichinger, Produzent und Drehbuchautor, formuliert den Anspruch seines Projekts: "Wenn man den Lichtkegel auf den größtmöglichen physischen und psychischen Zusammenbruch einer ganzen Zivilisation richtet, nämlich unserer deutschen Nation, dann muss es auch möglich sein, dass wir diese Geschichte selbst erzählen können - und müssen." Material liefern die Interviews mit Traudl Junge, der ehemaligen Sekretärin Hitlers. Aus diesen Interviews war schon 2002 der sehenswerte Dokumentarfilm "Im toten Winkel - Hitlers Sekretärin" (Regie: André Heller, Othmar Schmiederer) entstanden. Eichinger beruft sich auf Joachim C. Fest, den konservativen Historiker und ehemaligen Herausgeber der FAZ , der 2002 ein gleichnamiges Buch vorgelegt hat. Wie auch in Christoph Schlingensiefs furiosem 60-Minüter "100 Jahre Adolf Hitler. Die letzte Stunde im Führerbunker" aus dem Jahre 1988/89 geht es um die Rekonstruktion der Verhältnisse um Hitler kurz vor dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft.

In zweieinhalb Stunden erzählt der Film aus der Perspektive der Sekretärin die Geschichte des immer wahnsinniger werdenden Hitler. Der geht gebückt, mit den Händen zitternd hinter seinem Rücken (Parkinson?), eingesperrt mit seinen letzten Getreuen in seiner letzten Zuflucht, dem Berliner Führerbunker. Der Film zeigt Einsamkeit und Realitätsverlust, Wehrmachtsoffiziere und -generäle, die nichts anderes im Sinn haben als den Krieg zu beenden, sich aber nicht gegen Hitler durchsetzen wollen. Er erzählt vor allem von den "guten" Nazis: Hofarchitekt Speer, der den Führerbefehl zur Vernichtung der zivilen Infrastruktur verweigert und damit dem deutschen Volk seine Existenzgrundlage erhalten will. Professor Schenk, der als Internist im Notlazarett aushilft, wo er kann, und durch dessen Augen wir das Leid der deutschen Zivilbevölkerung und Soldaten in mannigfacher Form erblicken. Den Höhepunkt der Niedertracht hingegen personifiziert im Film die Ehefrau und Mutter Goebbels, die ihre sechs Kinder zunächst betäubt und ihnen dann die Giftkapsel zwischen die Zähne drückt - Kind für Kind.

Deutsche Opfer in allen Variationen

Bei all dem Blut, Wahnsinn, Granatendonner verschweigt der Film jedoch vieles, was bei einer seriösen Beschäftigung mit "dem Untergang" nicht ausgeblendet werden kann: Was hat der gute Professor Schenk alles getan bzw. nicht getan, um es zum hochrangigen SS-Offizier zu bringen? Oder Göring: Im Film besteht dessen Verbrechen darin, dass er mit Kunstschätzen nach Süddeutschland verschwunden ist und sich nicht mehr um die Luftwaffe kümmert, um den Himmel über Berlin zu verteidigen. Himmler wird fast sogar positiv besetzt, da er hinter Hitlers Rücken Kapitulationsverhandlungen mit den Briten aufzunehmen versucht. Und Speer wird eben nicht gezeigt als der technokratische Rüstungsminister, der er auch war und als der er die Mittel organisierte, mit denen die Deutschen ganz Europa mit Krieg überzogen und von Juden "befreien" wollten. Die umfangreiche Nebenrolle Speer hätte Andeutungen in dieser Richtung allemal getragen.

Der blinde Fleck liegt in der Darstellung des Grauens der Kämpfe um Berlin: Die Eroberung der Stadt scheint auf sowjetischer Seite ein unblutiges Unternehmen gewesen zu sein. Im Film wird Deutschland (= Volk + Herrschaft) im Moment der Niederlage gezeigt. Es ist schwach, wird angegriffen, zerstört. Ausgeblendet wird, was Deutschland getan hat, als es noch die Macht hatte, seine Feinde zu vernichten. Ausgeblendet wird, wovon "der Untergang" die Konsequenz ist. Stattdessen sehen wir die totale Machtlosigkeit. Und das ist eine Vorentscheidung: Wer Machtlosigkeit zeigt, zeigt Opfer. Und wer Opfer zeigt, der will Mitleid, zumindest Mitgefühl. Mitgefühl für deutsche Täter. Schließlich zeigt der Film keinen einzigen leidenden sowjetischen Soldaten. Die Rote Armee ist nur präsent durch den Granatendonner und als Siegerin in der Schlussszene. Er zeigt nur deutsche Opfer, verstümmelt, erschossen, hungernd, kämpfend, verängstigt - Opfer in allen Varianten mit einer einzigen Gemeinsamkeit: Das Opfer muss deutsch sein, um im Film eine Rolle zu spielen.

Offensichtlich geht es weniger um die historische Wahrheit als darum, dass das deutsche Volk endlich auch als Opfer anerkannt wird. Wahrscheinlich legt Eichinger deshalb so viel Wert darauf, dass Deutsche die Hauptrollen spielen - abgesehen von dem Schweizer Bruno Ganz, der Hitler verkörpert. Noch einmal Eichinger: "Wir haben uns vorgenommen, diesen Film in deutscher Sprache zu drehen, mit deutschen Schauspielern und einem deutschem Regisseur." Einen deutschen Drehort für die Außenaufnahmen, die das umkämpfte und zerstörte Berlin zeigen sollen, fanden die Filmemacher allerdings nicht. Also wurde in St. Petersburg gedreht. Das zum Film gelieferte Pressematerial lobt die Drehbedingungen in der ehemaligen Sowjetunion und die Echtheit der Szenerie. Kein Wort jedoch über die physische und psychische Situation der Stadt, als sie noch Leningrad hieß und von der Wehrmacht über 900 Tage lang belagert und ausgehungert wurde und mehr als 800.000 EinwohnerInnen erfroren und verhungerten. Stattdessen der begeisterte Hinweis auf die Altbauten dort, die jenen Berlins ähneln, da "von deutschen Architekten erbaut".

Der Untergang Berlins und das Ende Karthagos

Als deutsche Produktion scheint der Film den Lichtkegel ausschließlich auf deutsches Leid und deutsche Opfer richten zu wollen. Aber Wichtiges verschweigen heißt lügen. Die verlogene Quintessenz von "Der Untergang" geht so: Hitler war irre oder krank oder beides, und die deutsche Nation war sein armes, tragisches Opfer. Der Untergang des deutschen Volkes wird zum eigentlichen Verbrechen, schuld sollen allein die Nazi-Führer sein, und hier vor allem Hitler und Goebbels. Der Film liegt ganz auf der national-konservativen geschichtspolitischen Linie, wie sie der Stichwortgeber des Films, der Historiker Fest, vorgibt, wenn er schreibt: "Die neuere Geschichte kennt nichts, was mit den Ereignissen des Frühjahres 1945 vergleichbar wäre. Was damals erlebt und erlitten wurde, waren nicht nur die unvermeidlichen Schrecken einer Niederlage. Der Untergang Berlins ist historisch nur mit dem Ende Karthagos zu vergleichen." Dass dieser "Untergang Berlins", gar der "Untergang des deutschen Volkes" für einige Jahrzehnte die Befreiung Europas vom deutschen Größenwahn bedeutete, hat in der Erzählung von den Deutschen als Opfer ihrer verrückten Führer keinen Platz mehr. Zweieinhalb Stunden lang wird dem Zuschauer die Erzählung vom deutschen Opferkollektiv eingetrichtert: Zweieinhalb Stunden Bombendröhnen, Blut und Elend außerhalb, Dekadenz und Wahnsinn innerhalb des Bunkers machen den Kinobesuch zur Qual. Verschärft wird das durch das Fehlen jeglichen Spannungsbogens - denn jeder weiß ja von Anfang an, wie die Geschichte ausgeht.

Zur eindimensionalen, flachen und verzerrenden Erzählweise passt eine Verfilmung mit allem filmtechnischen Aufwand für ein audio-visuelles Sinnenspektakel in Hollywood-Manier. Da hilft auch der Rückgriff auf die echte Traudl Junge nichts mehr: Hitlers Sekretärin leitet den Film mit ihrer persönlichen Rückschau ein und bilanziert ihn mit Überlegungen zu ihrer eigenen Rolle und Schuld. Dieser dokumentarische Rahmen soll dem fiktionalen Geschehen im Bunker wohl einen Anschein von Authentizität verleihen. Die reuige Selbstreflexion der achtzigjährigen Kronzeugin widerspricht dem Geraune vom deutschen Volk als Opfer. Am revisionistischen Tenor des Bunkerdramas ändert sie jedoch nichts.

Markus Euskirchen

Der Untergang - Hitler und das Ende des 3. Reichs (2004), Regie: O. Hirschbiegel, Produktion und Drehbuch: B. Eichinger, Buchvorlage: J. Fest, Budget: 13,5 Mio. Euro, Dauer: 150 Minuten

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