Arfmann / Achinger
Interview: Max Dax · Erschienen in alert #1
Quelle: http://www.alertmagazin.de/alert.php?issue=1&content=arfmann


Hinweis: Das Interview ist bei leider nicht mehr online, dort finden sich aber jede Menge weiterer spannender Interviews. Rein schauen lohnt sich!

In Hamburg gibt es Musiker, die sich damit beschäftigen, Medienmechanismen offenzulegen, Strukturen zu durchleuchten, kritisch mit Berichterstattung umzugehen. Auch der letzten The Cocoon-Platte lag die erste Ausgabe der Zeitschrift "Unterhaltung" bei, die sich diesem Diskurs widmet. Wie stehst du zu alledem?

Arfmann: Wenn man seit zehn Jahren Medienarbeit leistet, sind solche Überlegungen nicht neu. Die Umsetzung der Idee allerdings, so wie sie heute stattfindet, ist sehr gut, weil mehrere Leute gleichzeitig eine neue Art der Präsentation gewählt haben. Es macht Sinn, Sachen mit dem Schwergewicht auf das Wort zu präsentieren.

"Verfolge den Prozess!" war ein Zusammenschluss mehrerer Bands. Das Konzert, welches veranstaltet wurde, war unter anderem der Versuch, eine Konkurrenzsituation zu umgehen. Wie kann eine einzelne Band diese Gedanken aufgreifen?

Arfmann: Ganz einfach durch einen guten Text. Einen Text, der einfach und simpel ist, in dem viel Selbstrespekt formuliert wird. Es kann nicht um Hipness gehen. Niemals.

Wie wichtig ist es, diese Art von Transparenz zu schaffen?

Arfmann: Transparenz ist für mich sehr wichtig. Es bedeutet für mich, Plätze, die man eingeräumt bekommt, sinnvoll zu nutzen und dies auch nachvollziehbar für den Außenstehenden zu machen. Transparenz schafft man sich jeden Tag: Für mich ist das ein immerwiederkehrender Prozess. Es fängt an mit Selbstrespekt und Respekt vor anderen Leuten. Das ist Transparenz. Klarheit schaffen: Wer bin ich, wer bist du. Dann kann man zusammen arbeiten.

Du spielst in den unterschiedlichsten Bands und produzierst viele. Siehst du in deiner Arbeit einen roten Faden?

Arfmann: Es gibt eine Kontinuität: Ich bin der Meinung, man muss Dinge outen. Wenn ich jedoch den Begriff Outen benutze, dann meine ich nicht Rosa von Praunheim. Man kann die Leute nicht so aus dem Schlaf reißen. Dass Leute so Anrufe bekommen "Ey, schalt mal schnell den Fernseher an, du wirst gerade geoutet!" So etwas finde ich unverschämt. Wenn ich den Begriff Outing benutze, dann meine ich: Sachen zu politisieren, Sachen ins Gespräch zu bringen, auch Sachen, die unhip sind. Das ist die absolut wichtigste Sache, an der ich seit vielen Jahren arbeite! Sachen, die unhip sind, die müssen geoutet werden, bezogen auf ihre pure Existenz.

Outen bedeutet Veröffentlichen?

Arfmann: Es bedeutet: der Öffentlichkeit zugänglich machen. Wenn mir Fragen gestellt werden, dann möchte ich einige Leute unbedingt erwähnen, damit sie wahrgenommen werden. Das ist kein Namedropping oder Klatsch. Das sind für mich kulturelle Interessen. Outen funktioniert bei mir so, dass ich Leute erwähne, die es verdient haben, die etwas machen, das mehr wert ist als 323 mal verkauft zu werden. Rüdiger Klose, der Kastrierte-Philosophen-Drummer, arbeitet zum Beispiel in einer Band namens Dakota. Klasse Platte, aber sie wird sich vermutlich 362 mal verkaufen. Es geht nicht um 50.000 Einheiten, es geht nicht um Polydor. Es geht um ein Netzwerk, das nicht schick ist. Ein Netzwerk kann kulturelle Inhalte vermitteln, es darf dabei aber nicht schick sein. Denn schicke Netzwerke gibt es hier in Deutschland tausendfach, siehe Tempo, Wiener, Prinz. Ich aber will eins haben, das nicht schick ist.

Achinger: Deine leeren Versprechungen.

Ist das Festhalten von Musik auf Tonträgern oder das Spielen von Musik ein kulturelles Statement?

Arfmann: Ja. Das gilt natürlich für die fünf LPs, die jetzt gleichzeitig herauskamen, an denen ich selber mitgewirkt habe, also Heroina, Kastrierte Philosophen, IQ, Sigurd Müller Superstar (Buback) und The Cocoon - die sind größtenteils im Knochenhaus produziert worden. Dass die alle fast zeitgleich herausgekommen sind, ist vielleicht sogar zu viel, auch für mich, einerseits von der Arbeit und andererseits von den Fragen, die mir gestellt werden. Aber generell stelle ich fest: Wenn solche Sachen gleichzeitig herauskommen, bringt es allen Bands gleichzeitig etwas, man bekommt ganz andere Plätze eingeräumt, man kann gleichzeitig über alle Bands kommunizieren. Das ist eine verantwortungsvolle Geschichte. Und das hat nichts mit der FDP zu tun. FDP heisst: "Ich habe gestern gemerkt die Banane ist gelb. Und dann schreien alle: Klasse, die ist gelb. Jetzt wissen wir es endlich!"

Achinger: Bei dir piepts wohl.

Arfmann: Bei mir piepts wohl. Das ist FDP.

Fünf Platten, wo du mitgewirkt hast, erscheinen gleichzeitig. Sie unterscheiden sich voneinander sehr. Du legst dich stilistisch nicht fest, du verfolgst unterschiedliche Richtungen. Was für einen Platz hat da IQ?

Arfmann: IQ ist kein Dancefloor-Projekt. Das bedeutet: Gute Texte und Superlaut und auch Sexy. Krachig. So ein Dreck wie SNAP, das ist ein Dancefloor-Projekt. IQ ist eine Band, wo wir über die Texte diskutieren und versuchen, einen maximum Lärmpegel zu erzeugen, der natürlich groovt. Wir arbeiten mit ballernden Loops. Auf der einen Seite ein Schwarzer aus Harlem wie Eric, der da keinen Aufklärungsbedarf hat, der arbeitet seit er geboren wurde mit solchen Dingern. Und ich liebe dieses Zeug sowieso seit zehn Jahren. Da gibt es keine großen Diskussionen: Das musikalische Verständnis ist relativ blind. Wenn ich mit irgendjemandem arbeite, dann geht es nicht darum, dass man sich Sachen konstruiert, intellektuell irgendwie konstriert: Für mich zählt einfach nur, dass die Wand wackelt. Die Wand muss wackeln und das Herz muss wackeln. Das ist alles. Wenn das erfüllt ist, bin ich jederzeit bereit mit jedem zu arbeiten. Das ist auch bei einer Folk-Band so. Da kann die Wand auch wackeln. Ich habe keinen roten Faden.

Wie entstehen deine Texte?

Arfmann: Ich schreibe meine Texte in deutsch, will aber auf englisch singen. Ich kann in deutsch einfach schneller schreiben. Katrin Achinger ist meine Synchron-Übersetzerin. Ich mache jetzt eine Solo-Platte, und alle Texte dazu habe ich drei Minuten bevor ich zum Singen ans Mikrophon gegangen bin, geschrieben. Ich habe keinen Text wie ein richtiger Poet im Café oder zu Hause verfasst. Ich überlege mir: Was habe ich in letzter Zeit erlebt, welche Geschichten hat es gegeben? Das sind einzelne kleine Geschichten. Das sind alles Songs. Die entstehen drei Minuten, bevor mein Mikrophon scharf geschaltet wird. Wenn man so arbeitet, kann es passieren, dass man hinterher sagt, da hast du das Lied nicht lange genug ausreifen lassen. Aber so wie ich arbeite, ist das die einzig adäquate Lösung für mich. Hinter dem Songtitel müsste eigentlich in Klammern stehen 23.7.91 (0.45 Uhr). Das wäre perfekt. Das interessiert natürlich niemanden, aber es wäre perfekt. Ich habe ein Gefühl im Bauch und schreibe die Musik dazu, dröhn das ganze Backing in einem klassischen Song-Charakter auf Tape. Und dann sage ich: Das ist das Lied und das ist so und so und dazu passt ganz bestimmt genau diese Geschichte, die ich gerade da und da erlebt habe. Das sind alles Tagebücher. Alle meine Texte sind immer Tagebücher. Es ist keine Lüge. Das habe ich vorgestern erlebt, das passt genau zu diesem Lied. Dann schreibe ich das in deutsch ganz schnell auf, und Katrin übersetzt das eben so. Zack.

Achinger: Ich bin die Synchron-Übersetzerin!

Ist das ein Prinzip oder hat sich das so ergeben?

Arfmann: Es sind immer Geschichten, die ich so erlebe. Wenn Geschichten abgeschlossen sind, dann werden daraus Beschreibungen kleiner Ereignisse, das sind ganz kleine Dinge, die sind unspektakulär. Dann sage ich aber hinterher: Das war eine Sache, die war auf jeden Fall einen Song wert!

Ist es das, was du mit "ein Song ist dann transparent, wenn er ehrlich ist" meintest?

Arfmann: Ja, das kann man so sehen. Ich glaube, das ist es. Ehrlich zu sein heisst immer, dass man Fehler macht. Und Fehler muss man machen können. Jeder muss die Möglichkeit haben, Fehler zu machen.

Achinger: Es ist nie ein Fehler, ehrlich zu sein. Es heisst: An diesem Punkt meines Lebens bin ich an diesem Punkt und mache dies und das. Und gebe auch zu, dass ich vielleicht ein Idiot bin. Aber das weiss ich natürlich zu diesem Zeitpunkt nicht.

Bedeutet das auch: Einen Schlussstrich unter eine Sache machen zu können, sie nicht endlos weiterzuführen?

Achinger: Ja: Es geht um Aufrichtigkeit. Dass man sich nicht hinstellt und den Rock'n'Roller raushängen lässt. Diese Zeiten sind vorbei.

Arfmann: Diese Zeiten hat es nie gegeben. Aber abgesehen davon: Die Ramones spielen heute Playback.

Ist es eine Triebfeder für die Weiterarbeit, wenn man sagt, dass jede Sache irgendwann einen Abschluss haben muss?

Arfmann: Es gibt ja nur den Anfang und einen Abschluss. Das ist die Geburt und der Tod.

Aber die Abgabe von Masterbändern an die Plattenfirma ist doch ein Abschluss.

Arfmann: Insofern ja, als dass ich wissen muss, wenn Musik die Tür des Studios verlässt, jetzt muss ich mir nicht mehr zuhause mein Zeug 70 mal anhören und mir sagen, dass es diese Produkte gibt. Dann ist eine Sache für mich abgeschlossen. Eine Sache, die ich mir häufig genug angehört habe während des Aufnahmeprozesses. Und: Ich habe das Produkt sehr genau kontrolliert. Ich weiss genau, was die Tür verlässt.

Achinger: Aber du weisst doch nur, an welchem Punkt du an diesem Moment deines Lebens bist. Ich würde eine Sache mit dem Abgeben nicht als abgeschlossen bezeichnen. Ich höre Sachen, die ich früher aufgenommen habe, heute anders als früher. Die Wahrnehmnung dessen, was man tut, verändert sich permanent.

Arfmann: Dann könnte man im Prinzip sagen: Ein gewisser Produktionsprozess ist natürlich abgeschlossen, aber ein Wahrnehmungsprozess ist nie abgeschlossen, selbst wenn ich sterbe, denn zur Wahrnehmung gehören mehr Leute als ich selbst.

Achinger: Im Produktionsprozess muss man sich jedoch klar sein, dass du nie fertig bist mit etwas. Insomnia würde heute anders klingen, auch wenn ich die gleichen Songs machen würde. Deswegen sind Abschlüsse eigentlich nur Provisorien.

Statements?

Achinger: Das Wort Statement beinhaltet "state", und das bedeutet Zustand. Dann weisst du, dass es nur ein momentanes Ding sein kann. Wesentlich ist, was bleibt. Was wichtiger ist als ein momentanes Statement, ist Musik für die Ewigkeit. Musik, die aus der Zeit herausgeht. Das heisst nicht, dass es in die Ewigkeit gehören würde. Musik, die neben der Zeit stehen kann, also Musik und Texte und Aussagen. Wenn du dahin kommst, dann kannst du eigentlich in jeder Sekunde deines Lebens irgendetwas aufnehmen und sagen. Ich habe das diesen Sommer gemerkt. Ich habe da 10 Jahre Philosophen-Texte abtippen dürfen, und mir hat davor gegraut. Mein Gott, du wirst dich schwarzärgern, was du damals für einen Stuss geredet hast vor 10 Jahren. Und ich habe gemerkt, das hat sich alles total geändert. Ich habe da Sachen herausgelesen, die ich vielleicht nie bewusst geschrieben habe, die da jedoch drinstehen, die man da herauslesen kann.

Ist das nicht genau der Effekt, der dann eintritt, wenn man es zulässt, dass das, was man in einem Moment sagt, eben nicht für die Ewigkeit bestimmt ist, sondern der Zustand, der poetisch zu Papier gebracht oder zu Song gemacht wird? Dass es eine Momentaufnahme ist, so dass ein Zustand erreicht wird, der eben nicht artifiziell ist?

Achinger: Wenn du dir der Gegenwart bewusst bist, dann bist du dir auch der Ewigkeit bewusst. Und wenn du dir dessen nicht bewusst bist, sondern immer nur etwas darstellen willst, was du nicht bist, dann hast du keinen Mut.

Arfmann: Mut zur Veröffentlichung, zu Einfachheit, zu Transparenz, zu Peinlichkeiten, zu unhippen Themen. Man macht das einfach so. Die Leute werden schon merken, was es für Schwachpunkte gibt. Aber sie werden ebenso merken, dass es darin auch Stärken gibt.

Achinger: Wir brauchen keine Programme. Weder ein Promotion-Programm, in dem du dich als Image aufbaust, noch ein politisches Programm, noch ein künstlerisches. Sondern: In diesem Moment fällt mir folgendes ein. Und das bringe ich jetzt zu Papier.

Würdet ihr euch als Chronisten bezeichnen?

Achinger: Kommt drauf an wovon.

Chronisten des eigenen Lebens. Dass Dinge, die man erlebt, als wichtig genug angesehen werden, bearbeitet zu werden.

Achinger: Jeder, der behauptet, kein Chronist zu sein, der lügt.

Das ist ein Wort.

Arfmann: Wer ist denn ein klassischer Chronist für dich? Ein Klassiker, es muss ein Deutscher sein. Wolf Biermann? Vor dem habe ich ein ungeheure Hochachtung. Was ich bei dem liebe, ist: Der redet live, der redet los. Er ist oft sarkastisch und gemein. Er hat ein großes Maul, aber er ist nie zynisch in dem Sinne, dass er andere Menschen verachtet.

Achinger: Zyniker verachten vor allem sich selbst.

Arfmann: Auch das, aber auch andere Menschen. Der ist so ein Situationskomiker wie Laurel & Hardy.

Achinger: Du kannst natürlich auch sagen, du bist kein Chronist und stellst am Anfang deiner Karriere ein Programm auf und bleibst dir treu, aber da wirst du schnell starr werden. Du beisst dich tot. Du musst alles mit Leben anfüllen. Und wenn du etwas mit Leben anfüllen willst, dann musst du zwangsläufig damit leben was dir passiert oder was du erlebst, oder wie dein Denken sich entwickelt.

Ich registriere, dass die Art von Kontinuität von einem großen Teil der Menschen scheinbar so sehr gebraucht wird, dass sie auch gekauft wird. Leute, die berechenbar sind, werden mehr gekauft als Leute, die unberechenbar sind. Und genau die sind ja keine Chronisten, sondern Planwirtschaftler.

Arfmann: Für mich geht es darum, dass Brücken zwischen unterschiedlichen Szenen geschlagen werden müssen, die aber letztlich irgendwo den berühmten roten Faden haben, die über Vibes funktionieren. Da kann es Brücken geben zwischen den Kastrierten Philosophen und den Goldenen Zitronen und zwischen Cocoon und Slime. Die Brücken kann und muss es geben. Sinngemäß gesagt: Die Band Slime lässt sich doch nicht mit Cocoon fotographieren!

Achinger: Ich sehe die Entwicklungen, das sehe ich auch an Klamotten wie "Verfolge den Prozess". Unser Knochenhaus-Studio zum Beispiel wird immer mehr zu einem völlig konzeptlosen Zentrum: Da kommen viele Leute aus den unterschiedlichsten Richtungen. Und wir sagen dann: Kommt Leute, wir sehen mal, was wir daraus machen können. Wir verfolgen den Prozess, wir versuchen, herauszubekommen, wie wir jetzt zusammenarbeiten können. Worauf es hinausläuft, ist, dass nicht mehr Egos oder Persönlichkeiten promotet werden, sondern wirklich die Form des Zusammenarbeitens und des Zusammenlebens.

Unspektakulariät.

Achinger: Genau. Ohne dabei Regeln aufzustellen! Gucken, was dabei passiert, wie sich Dinge und Zusammenarbeiten entwickeln. Deshalb war ich im letzten Jahr auch bei 4 Plattenproduktionen beteiligt. Was passiert da? Wie kommen wir zusammen? Die Chemie bringt die Resultate, die alle zufriedenstellt.