Quelle: http://www.alertmagazin.de/alert.php?issue=1&content=arfmann
Hinweis: Das Interview ist bei
leider nicht mehr online, dort finden sich aber jede Menge weiterer
spannender Interviews. Rein schauen lohnt sich!
In Hamburg gibt es Musiker, die sich
damit beschäftigen, Medienmechanismen offenzulegen, Strukturen
zu durchleuchten, kritisch mit Berichterstattung umzugehen. Auch
der letzten The Cocoon-Platte lag die erste Ausgabe der Zeitschrift
"Unterhaltung" bei, die sich diesem Diskurs widmet. Wie
stehst du zu alledem?
Arfmann: Wenn man seit zehn Jahren Medienarbeit leistet, sind
solche Überlegungen nicht neu. Die Umsetzung der Idee allerdings,
so wie sie heute stattfindet, ist sehr gut, weil mehrere Leute gleichzeitig
eine neue Art der Präsentation gewählt haben. Es macht
Sinn, Sachen mit dem Schwergewicht auf das Wort zu präsentieren.
"Verfolge den Prozess!" war ein Zusammenschluss mehrerer
Bands. Das Konzert, welches veranstaltet wurde, war unter anderem
der Versuch, eine Konkurrenzsituation zu umgehen. Wie kann eine
einzelne Band diese Gedanken aufgreifen?
Arfmann: Ganz einfach durch einen guten Text. Einen Text, der
einfach und simpel ist, in dem viel Selbstrespekt formuliert wird.
Es kann nicht um Hipness gehen. Niemals.
Wie wichtig ist es, diese Art von Transparenz zu schaffen?
Arfmann: Transparenz ist für mich sehr wichtig. Es bedeutet
für mich, Plätze, die man eingeräumt bekommt, sinnvoll
zu nutzen und dies auch nachvollziehbar für den Außenstehenden
zu machen. Transparenz schafft man sich jeden Tag: Für mich
ist das ein immerwiederkehrender Prozess. Es fängt an mit Selbstrespekt
und Respekt vor anderen Leuten. Das ist Transparenz. Klarheit schaffen:
Wer bin ich, wer bist du. Dann kann man zusammen arbeiten.
Du spielst in den unterschiedlichsten Bands und produzierst viele.
Siehst du in deiner Arbeit einen roten Faden?
Arfmann: Es gibt eine Kontinuität: Ich bin der Meinung,
man muss Dinge outen. Wenn ich jedoch den Begriff Outen benutze,
dann meine ich nicht Rosa von Praunheim. Man kann die Leute nicht
so aus dem Schlaf reißen. Dass Leute so Anrufe bekommen "Ey,
schalt mal schnell den Fernseher an, du wirst gerade geoutet!"
So etwas finde ich unverschämt. Wenn ich den Begriff Outing
benutze, dann meine ich: Sachen zu politisieren, Sachen ins Gespräch
zu bringen, auch Sachen, die unhip sind. Das ist die absolut wichtigste
Sache, an der ich seit vielen Jahren arbeite! Sachen, die unhip
sind, die müssen geoutet werden, bezogen auf ihre pure Existenz.
Outen bedeutet Veröffentlichen?
Arfmann: Es bedeutet: der Öffentlichkeit zugänglich
machen. Wenn mir Fragen gestellt werden, dann möchte ich einige
Leute unbedingt erwähnen, damit sie wahrgenommen werden. Das
ist kein Namedropping oder Klatsch. Das sind für mich kulturelle
Interessen. Outen funktioniert bei mir so, dass ich Leute erwähne,
die es verdient haben, die etwas machen, das mehr wert ist als 323
mal verkauft zu werden. Rüdiger Klose, der Kastrierte-Philosophen-Drummer,
arbeitet zum Beispiel in einer Band namens Dakota. Klasse Platte,
aber sie wird sich vermutlich 362 mal verkaufen. Es geht nicht um
50.000 Einheiten, es geht nicht um Polydor. Es geht um ein Netzwerk,
das nicht schick ist. Ein Netzwerk kann kulturelle Inhalte vermitteln,
es darf dabei aber nicht schick sein. Denn schicke Netzwerke gibt
es hier in Deutschland tausendfach, siehe Tempo, Wiener, Prinz.
Ich aber will eins haben, das nicht schick ist.
Achinger: Deine leeren Versprechungen.
Ist das Festhalten von Musik auf Tonträgern oder das Spielen
von Musik ein kulturelles Statement?
Arfmann: Ja. Das gilt natürlich für die fünf
LPs, die jetzt gleichzeitig herauskamen, an denen ich selber mitgewirkt
habe, also Heroina, Kastrierte Philosophen, IQ, Sigurd Müller
Superstar (Buback) und The Cocoon - die sind größtenteils
im Knochenhaus produziert worden. Dass die alle fast zeitgleich
herausgekommen sind, ist vielleicht sogar zu viel, auch für
mich, einerseits von der Arbeit und andererseits von den Fragen,
die mir gestellt werden. Aber generell stelle ich fest: Wenn solche
Sachen gleichzeitig herauskommen, bringt es allen Bands gleichzeitig
etwas, man bekommt ganz andere Plätze eingeräumt, man
kann gleichzeitig über alle Bands kommunizieren. Das ist eine
verantwortungsvolle Geschichte. Und das hat nichts mit der FDP zu
tun. FDP heisst: "Ich habe gestern gemerkt die Banane ist gelb.
Und dann schreien alle: Klasse, die ist gelb. Jetzt wissen wir es
endlich!"
Achinger: Bei dir piepts wohl.
Arfmann: Bei mir piepts wohl. Das ist FDP.
Fünf Platten, wo du mitgewirkt hast, erscheinen gleichzeitig.
Sie unterscheiden sich voneinander sehr. Du legst dich stilistisch
nicht fest, du verfolgst unterschiedliche Richtungen. Was für
einen Platz hat da IQ?
Arfmann: IQ ist kein Dancefloor-Projekt. Das bedeutet: Gute
Texte und Superlaut und auch Sexy. Krachig. So ein Dreck wie SNAP,
das ist ein Dancefloor-Projekt. IQ ist eine Band, wo wir über
die Texte diskutieren und versuchen, einen maximum Lärmpegel
zu erzeugen, der natürlich groovt. Wir arbeiten mit ballernden
Loops. Auf der einen Seite ein Schwarzer aus Harlem wie Eric, der
da keinen Aufklärungsbedarf hat, der arbeitet seit er geboren
wurde mit solchen Dingern. Und ich liebe dieses Zeug sowieso seit
zehn Jahren. Da gibt es keine großen Diskussionen: Das musikalische
Verständnis ist relativ blind. Wenn ich mit irgendjemandem
arbeite, dann geht es nicht darum, dass man sich Sachen konstruiert,
intellektuell irgendwie konstriert: Für mich zählt einfach
nur, dass die Wand wackelt. Die Wand muss wackeln und das Herz muss
wackeln. Das ist alles. Wenn das erfüllt ist, bin ich jederzeit
bereit mit jedem zu arbeiten. Das ist auch bei einer Folk-Band so.
Da kann die Wand auch wackeln. Ich habe keinen roten Faden.
Wie entstehen deine Texte?
Arfmann: Ich schreibe meine Texte in deutsch, will aber auf
englisch singen. Ich kann in deutsch einfach schneller schreiben.
Katrin Achinger ist meine Synchron-Übersetzerin. Ich mache
jetzt eine Solo-Platte, und alle Texte dazu habe ich drei Minuten
bevor ich zum Singen ans Mikrophon gegangen bin, geschrieben. Ich
habe keinen Text wie ein richtiger Poet im Café oder zu Hause
verfasst. Ich überlege mir: Was habe ich in letzter Zeit erlebt,
welche Geschichten hat es gegeben? Das sind einzelne kleine Geschichten.
Das sind alles Songs. Die entstehen drei Minuten, bevor mein Mikrophon
scharf geschaltet wird. Wenn man so arbeitet, kann es passieren,
dass man hinterher sagt, da hast du das Lied nicht lange genug ausreifen
lassen. Aber so wie ich arbeite, ist das die einzig adäquate
Lösung für mich. Hinter dem Songtitel müsste eigentlich
in Klammern stehen 23.7.91 (0.45 Uhr). Das wäre perfekt. Das
interessiert natürlich niemanden, aber es wäre perfekt.
Ich habe ein Gefühl im Bauch und schreibe die Musik dazu, dröhn
das ganze Backing in einem klassischen Song-Charakter auf Tape.
Und dann sage ich: Das ist das Lied und das ist so und so und dazu
passt ganz bestimmt genau diese Geschichte, die ich gerade da und
da erlebt habe. Das sind alles Tagebücher. Alle meine Texte
sind immer Tagebücher. Es ist keine Lüge. Das habe ich
vorgestern erlebt, das passt genau zu diesem Lied. Dann schreibe
ich das in deutsch ganz schnell auf, und Katrin übersetzt das
eben so. Zack.
Achinger: Ich bin die Synchron-Übersetzerin!
Ist das ein Prinzip oder hat sich das so ergeben?
Arfmann: Es sind immer Geschichten, die ich so erlebe. Wenn
Geschichten abgeschlossen sind, dann werden daraus Beschreibungen
kleiner Ereignisse, das sind ganz kleine Dinge, die sind unspektakulär.
Dann sage ich aber hinterher: Das war eine Sache, die war auf jeden
Fall einen Song wert!
Ist es das, was du mit "ein Song ist dann transparent, wenn
er ehrlich ist" meintest?
Arfmann: Ja, das kann man so sehen. Ich glaube, das ist es.
Ehrlich zu sein heisst immer, dass man Fehler macht. Und Fehler
muss man machen können. Jeder muss die Möglichkeit haben,
Fehler zu machen.
Achinger: Es ist nie ein Fehler, ehrlich zu sein. Es heisst: An
diesem Punkt meines Lebens bin ich an diesem Punkt und mache dies
und das. Und gebe auch zu, dass ich vielleicht ein Idiot bin. Aber
das weiss ich natürlich zu diesem Zeitpunkt nicht.
Bedeutet das auch: Einen Schlussstrich unter eine Sache machen
zu können, sie nicht endlos weiterzuführen?
Achinger: Ja: Es geht um Aufrichtigkeit. Dass man sich nicht
hinstellt und den Rock'n'Roller raushängen lässt. Diese
Zeiten sind vorbei.
Arfmann: Diese Zeiten hat es nie gegeben. Aber abgesehen davon:
Die Ramones spielen heute Playback.
Ist es eine Triebfeder für die Weiterarbeit, wenn man sagt,
dass jede Sache irgendwann einen Abschluss haben muss?
Arfmann: Es gibt ja nur den Anfang und einen Abschluss. Das
ist die Geburt und der Tod.
Aber die Abgabe von Masterbändern an die Plattenfirma ist
doch ein Abschluss.
Arfmann: Insofern ja, als dass ich wissen muss, wenn Musik die
Tür des Studios verlässt, jetzt muss ich mir nicht mehr
zuhause mein Zeug 70 mal anhören und mir sagen, dass es diese
Produkte gibt. Dann ist eine Sache für mich abgeschlossen.
Eine Sache, die ich mir häufig genug angehört habe während
des Aufnahmeprozesses. Und: Ich habe das Produkt sehr genau kontrolliert.
Ich weiss genau, was die Tür verlässt.
Achinger: Aber du weisst doch nur, an welchem Punkt du an diesem
Moment deines Lebens bist. Ich würde eine Sache mit dem Abgeben
nicht als abgeschlossen bezeichnen. Ich höre Sachen, die ich
früher aufgenommen habe, heute anders als früher. Die
Wahrnehmnung dessen, was man tut, verändert sich permanent.
Arfmann: Dann könnte man im Prinzip sagen: Ein gewisser Produktionsprozess
ist natürlich abgeschlossen, aber ein Wahrnehmungsprozess ist
nie abgeschlossen, selbst wenn ich sterbe, denn zur Wahrnehmung
gehören mehr Leute als ich selbst.
Achinger: Im Produktionsprozess muss man sich jedoch klar sein,
dass du nie fertig bist mit etwas. Insomnia würde heute anders
klingen, auch wenn ich die gleichen Songs machen würde. Deswegen
sind Abschlüsse eigentlich nur Provisorien.
Statements?
Achinger: Das Wort Statement beinhaltet "state", und
das bedeutet Zustand. Dann weisst du, dass es nur ein momentanes
Ding sein kann. Wesentlich ist, was bleibt. Was wichtiger ist als
ein momentanes Statement, ist Musik für die Ewigkeit. Musik,
die aus der Zeit herausgeht. Das heisst nicht, dass es in die Ewigkeit
gehören würde. Musik, die neben der Zeit stehen kann,
also Musik und Texte und Aussagen. Wenn du dahin kommst, dann kannst
du eigentlich in jeder Sekunde deines Lebens irgendetwas aufnehmen
und sagen. Ich habe das diesen Sommer gemerkt. Ich habe da 10 Jahre
Philosophen-Texte abtippen dürfen, und mir hat davor gegraut.
Mein Gott, du wirst dich schwarzärgern, was du damals für
einen Stuss geredet hast vor 10 Jahren. Und ich habe gemerkt, das
hat sich alles total geändert. Ich habe da Sachen herausgelesen,
die ich vielleicht nie bewusst geschrieben habe, die da jedoch drinstehen,
die man da herauslesen kann.
Ist das nicht genau der Effekt, der dann eintritt, wenn man es
zulässt, dass das, was man in einem Moment sagt, eben nicht
für die Ewigkeit bestimmt ist, sondern der Zustand, der poetisch
zu Papier gebracht oder zu Song gemacht wird? Dass es eine Momentaufnahme
ist, so dass ein Zustand erreicht wird, der eben nicht artifiziell
ist?
Achinger: Wenn du dir der Gegenwart bewusst bist, dann bist
du dir auch der Ewigkeit bewusst. Und wenn du dir dessen nicht bewusst
bist, sondern immer nur etwas darstellen willst, was du nicht bist,
dann hast du keinen Mut.
Arfmann: Mut zur Veröffentlichung, zu Einfachheit, zu Transparenz,
zu Peinlichkeiten, zu unhippen Themen. Man macht das einfach so.
Die Leute werden schon merken, was es für Schwachpunkte gibt.
Aber sie werden ebenso merken, dass es darin auch Stärken gibt.
Achinger: Wir brauchen keine Programme. Weder ein Promotion-Programm,
in dem du dich als Image aufbaust, noch ein politisches Programm,
noch ein künstlerisches. Sondern: In diesem Moment fällt
mir folgendes ein. Und das bringe ich jetzt zu Papier.
Würdet ihr euch als Chronisten bezeichnen?
Achinger: Kommt drauf an wovon.
Chronisten des eigenen Lebens. Dass Dinge, die man erlebt, als
wichtig genug angesehen werden, bearbeitet zu werden.
Achinger: Jeder, der behauptet, kein Chronist zu sein, der lügt.
Das ist ein Wort.
Arfmann: Wer ist denn ein klassischer Chronist für dich?
Ein Klassiker, es muss ein Deutscher sein. Wolf Biermann? Vor dem
habe ich ein ungeheure Hochachtung. Was ich bei dem liebe, ist:
Der redet live, der redet los. Er ist oft sarkastisch und gemein.
Er hat ein großes Maul, aber er ist nie zynisch in dem Sinne,
dass er andere Menschen verachtet.
Achinger: Zyniker verachten vor allem sich selbst.
Arfmann: Auch das, aber auch andere Menschen. Der ist so ein Situationskomiker
wie Laurel & Hardy.
Achinger: Du kannst natürlich auch sagen, du bist kein Chronist
und stellst am Anfang deiner Karriere ein Programm auf und bleibst
dir treu, aber da wirst du schnell starr werden. Du beisst dich
tot. Du musst alles mit Leben anfüllen. Und wenn du etwas mit
Leben anfüllen willst, dann musst du zwangsläufig damit
leben was dir passiert oder was du erlebst, oder wie dein Denken
sich entwickelt.
Ich registriere, dass die Art von Kontinuität von einem
großen Teil der Menschen scheinbar so sehr gebraucht wird,
dass sie auch gekauft wird. Leute, die berechenbar sind, werden
mehr gekauft als Leute, die unberechenbar sind. Und genau die sind
ja keine Chronisten, sondern Planwirtschaftler.
Arfmann: Für mich geht es darum, dass Brücken zwischen
unterschiedlichen Szenen geschlagen werden müssen, die aber
letztlich irgendwo den berühmten roten Faden haben, die über
Vibes funktionieren. Da kann es Brücken geben zwischen den
Kastrierten Philosophen und den Goldenen Zitronen und zwischen Cocoon
und Slime. Die Brücken kann und muss es geben. Sinngemäß
gesagt: Die Band Slime lässt sich doch nicht mit Cocoon fotographieren!
Achinger: Ich sehe die Entwicklungen, das sehe ich auch an Klamotten
wie "Verfolge den Prozess". Unser Knochenhaus-Studio zum
Beispiel wird immer mehr zu einem völlig konzeptlosen Zentrum:
Da kommen viele Leute aus den unterschiedlichsten Richtungen. Und
wir sagen dann: Kommt Leute, wir sehen mal, was wir daraus machen
können. Wir verfolgen den Prozess, wir versuchen, herauszubekommen,
wie wir jetzt zusammenarbeiten können. Worauf es hinausläuft,
ist, dass nicht mehr Egos oder Persönlichkeiten promotet werden,
sondern wirklich die Form des Zusammenarbeitens und des Zusammenlebens.
Unspektakulariät.
Achinger: Genau. Ohne dabei Regeln aufzustellen! Gucken, was
dabei passiert, wie sich Dinge und Zusammenarbeiten entwickeln.
Deshalb war ich im letzten Jahr auch bei 4 Plattenproduktionen beteiligt.
Was passiert da? Wie kommen wir zusammen? Die Chemie bringt die
Resultate, die alle zufriedenstellt.
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