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Herausforderungen
Curse: Innere Sicherheit, Jive/Zomba
von Tommy Schroedter
Die Anschläge vom 11.September 2001 auf die Twin Towers haben nicht nur zu unendlich vielen Verschwörungstheorien bis weit in die radikale Linke hinein geführt, sondern auch zu Herausforderungen, Fragen und Antworten vor allem in den verschiedensten Sparten der Kunst. Dass diese Herausforderung auch in der ostwestfälischen Provinz in Minden ankam, macht deutlich, wie umfassend der Einfluss dieser Anschläge war.

Curse, mit bürgerlichem Namen Michael Kurth, hatte mit Feuerwasser und Von innen nach außen zwei sehr persönliche Alben vorgelegt. Am 16.9.2001 stellte er mit "Nichts wird mehr so sein" einen Track zum Download auf seine Webseite, in dem er dann unter anderem sagte: "Wer jetzt noch rappt ohne Sinn, ist genau so schlimm wie die Nazis".

Eine Aussage, die er heute nicht mehr so wiederholen würde, aber: "Natürlich, dieses Datum war der Anlass dafür, den Song aufzunehmen; was ich inhaltlich sage, ist aber Ausdruck einer Entwicklung. Neben dem Anschlag selbst war ich geschockt von den Folgen und wie die Menschen damit umgehen. Plötzlich brannten Moscheen, und es wurden Feindbilder gesucht. Da wollte ich als Künstler Verantwortung übernehmen."

Mit "Innerer Sicherheit" unterstreicht Curse, dass es sich bei seinen Reaktionen im September 2001 nicht nur um eine Eintagsfliege handelte. "Ich musste zu bestimmten Dingen Stellung beziehen. Ursprünglich wollte ich ein Party- Album machen. Es ist das Gegenteil daraus geworden: das erste Curse-Album, das over all eigentlich auch politisch ist."

Die Art, in der es politisch ist, präsentiert eine naive provinzielle Genialität, die über die oberflächlichen Lyrics hinaus Ausdruck einer Kultur ist, die sich glokalisierend auf einen Alltag bezieht, in dem sie das Private politisch bewusst macht. Dass Curse dabei mehr als bisher verschiedene Musikstile einfließen lässt steht als förmliche Entgrenzung gegen die im Text oft benannten Eingrenzungen.

Das bedeutet auch, dass dieses Bewusstmachen nicht immer gelingt. So in "Schocktherapie", einem Thema, dass scheinbar seit dem Album Auswärtsspiel der Toten Hosen zu einem Standardstück auf Pop-Alben geworden ist. Der Tod eines nahe stehenden Menschen ist zumindest seit "Nur zu Besuch" auf diesem Album so häufig wie kaum zuvor in der deutschen populären Musik Thema.

Dass vieles davor unter der Rubrik "peinlich" abzulegen ist und auch Curse an die dichte Authentizität des Hosen-Songs nicht herankommt, überdeckt er durch die musikalische Öffnung und die egozentrische Sichtweise des Rappers.

Durch den Gesang und die Gitarre des Frontmanns der Hamburger Crossover Band 4Lyn — Ron Clauß — präsentiert der Rapper einen Rocksong, der seine Sprachlosigkeit zu diesem Thema auch noch durch die Dominanz des permanent wiederholten "aber trotzdem muss ich meine Wege weiter gehen" deutlich macht.

Im Song "Apfel" präsentiert Curse seine "Patchwork- Familienerfahrung" in einer Art und Weise, die manchen Kritiker peinlich erscheint und die deshalb auch schon mal als "überflüssig" abgetan wird. Doch ist dieser Song genau der Versuch, auf einem politischen Album ein gesellschaftliches Problem aufzugreifen, das — auch in diesem Song — als persönliches erfahren wird.

Dass es so fast zur Schnulze wird bei einem Rapper, der vom Stil her eigentlich zu den "härteren" Sprechsängern gehört, macht deutlich wie notwendig es ist, in dieser Richtung weiter zu arbeiten.

Insgesamt hat Curse mit seinem dritten Album eine reife Leistung vorgelegt, die zeigt, dass auch jenseits von Hamburg und Stuttgart hierzulande gut gerappt wird. Dass HipHop nach Brother und Sister Keepers sich in dieser Form politisch präsentiert, ist sicherlich auch Ausdruck einer Situation in dieser Jugendkulturszene, die aufnimmt, dass eine neue politische Dekade heranreift, in der die Positionen "Dafür", "Dagegen" und "Ist mir egal" wieder deutlich voneinander abgegrenzt werden müssen.

Dass dabei die Form von Crossoverstilen das Handwerkszeug ist, ist sicherlich nicht neu, aber es ist notwendig, dass Künstler wie Curse diese "Weisheit" auch in Gefilde des HipHop trägt, die diese Öffnung scheuen. Dass es dabei soweit gehen muss, eine Gottesfürchtigkeit an den Tag zu legen, die auch bei anderen Künstlerinnen und Künstlern um sich greift, bleibt mir verschlossen und ist sicherlich Thema für eine ganz eigene Untersuchung.

Eine solche Discproduktion ist natürlich kein Soloding: vor allem die Crews im Mindener und im Zagreber Studio und die dazugehörigen Produzenten sind verantwortlich für die hervorragende Qualität. Variabel, aber nicht in endlosen Tüfteleien verloren, melodisch, aber mit Pep gehören vor allem "Alles wird besser" oder "Was ist los mit uns" zu den Perlen hiesiger Studioarbeit.