Anti-Pop - was auch sonst?
Kai Degenhardts Dritte
Das sich heute ein Musikant dezidiert als politisch und links definiert ist sicherlich keine Alltäglichkeit. Gegen alle Bemühungen kritischer Zeitgeister, die den Pop politisch reden wollen, hält er das entgegen, was er selbst als Anti-Pop und daher politisch bezeichnet. Kai Degenhardt hat gerade seine nunmehr dritte und mit Abstand beste CD fertig gemacht: Briefe aus der Ebene.

Thomas Ebermann ist von dem neuen Album angetan und denkt schon über gemeinsame Auftritte nach. Vor allem die Titel Dora 2 und Ay Carmela haben ihn beeindruckt. Im ersteren Song versucht Kai Degenhardt sich in die Situation eines Strafgefangenen zu versetzten und seine Geschichte zu erzählen. Im zweiten Stück greift er das Lied der 15. Brigade aus dem spanischen Bürgerkrieg auf. Dabei geht es ihm nicht nur um eine Hommage an die damaligen KämpferInnen in den internationalen Brigaden. Wichtig ist ihm der Zusammenhang "zum hier und heute notwendigen antifaschistischen Kampf". Kai Degenhardt will ab April mit dem neuen Album auf Tour gehen.

Musikalisch bewegt der Liedermacher sich durchaus in der Tradition seines Vaters Franz-Josef, den er während seiner Tourneen auf der Gitarre begleitet und an dessen Platten er seit 1987 mitarbeitet. Sohn Degenhardt bedient sich zeitgenössischer Musik von Folk bis Drum'n'Bass. Als Vorbilder gibt er neben Bob Dylan, Hanns Eisler und Billy Bragg auch Rio Reiser an.

Während Kai Degenhardt die ersten beiden Alben weitgehend als Solist aufgenommen hat, hat er sich nun die Unterstützung befreundeter MusikerInnen hinzu geholt. Und das ist zu begrüßen, wird doch dadurch das ganze abwechslungsreicher und wärmer.

Sympathisch ist es allemal, wenn der praktizierende Rechtsanwalt Degenhardt junior einfach feststellt: "Natürlich mache ich politische Lieder - was auch sonst." Dabei befasst er sich nicht mit aktuellen politischen Kampagnen oder den einschlägig in der Tagesschau vorgelesenen Meldungen. Und wer von politischen Songs vor allem Parolen erwartet, wird - Gottseidank - enttäuscht. Ausdrücklich stellt er auch Persönliches in einen politischen Kontext.

Seine Texte - die immer auch was prosahaftes haben - handeln von ihm und Gott und der Welt, wie Degenhardt selbst sagt. Der Tag im Mai- als klassischer Folksong - dreht sich um eine verflossene Liebe. In Das große Spiel befasst sich Degenhardt mit dem 11.September und malt dabei Bilder vom Kapitän Ahab und dem weißen Wal. Bevor wir verteilen ist im August 2001 entstanden, als in Genua Polizei und Armee DemonstrantInnen jagten und einen erschossen. Und in Southern Comfort (euer Eigentum) konfrontiert er TouristInnen und Geschäftsleute mit den Kolonialisierten der Dritten Welt, die - jaja - die Eigentumsfrage stellen. In dem fast schon hitverdächtigen Claqueur nimmt er einen arbeitslosen Promoter aufs Korn, der seine Dienste einem fiktiven Künstler anbietet. Unterlegt mit einem flotten Schlagzeug, einer frisch fiedelnden Geige.

Mit der sogenannten Poplinken geht Degenhardt hart ins Gericht. Er bestreitet, dass Pop etwas mit Links oder subversiv zu tun haben kann. In einem Interview mit der jungen welt stellt er fest: "Die "Subversions-Signatur", die diese Poplinke dabei hinterlässt, soll ihre Produkte mit irgendeiner links-rebellischen Identität aufladen; billiger und risikoärmer war Widerstand nie zu haben."

DSe, rock-links.de

Kai Degenhardt, Briefe aus der Ebene, Plattenbau, erscheint am 31.1.03, www.plattenbau.de

Der Artikel erscheint in: ak - analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte und Praxis
Im Internet: http://www.akweb.de