Nicht besonders populär
Ein Liedermacher aus der Nachbarschaft der Hamburger Schule, der in deren Musik aber "kritisches Bewusstsein" vermisst: Kai Degenhardt veröffentlicht sein Album "Briefe aus der Ebene"
von DIRK SEIFERT
Liedermacher sind heutzutage nicht wirklich angesagt. Menschen unter 35 mögen ihnen einfach nicht zuhören. Damit hat auch Kai Degenhardt zu kämpfen. Während die Hamburger Pop-Linke derzeit mobil macht und die angesagten Clubs und Hallen mit der Aufforderung zum Stürzen der Regierung füllt, sitzt der Liedermacher ungefragt im Abseits.

Dabei ist es ja keineswegs so, dass ein Liedermacher einfach auf seiner Klampfe schrummelt und mit weinerlicher Stimme eine gerechtere Welt ersehnt. Kai Degenhardt, Sohn der Liedermacher-Legende Franz Josef Degenhardt, bastelt auf seiner neuen, dritten CD Briefe aus der Ebene beispielsweise Elemente aus Rock, Jazz, Reggae, Folk, Blues und Flamenco zusammen. Er selbst bedient häufiger die elektrische Gitarre und hat bei seinen Auftritten sogar einen Sampler am Start. Dabei verarbeitet er nicht etwa vorgefertigte Sequenzen. Im Overdub-Verfahren spielt er alles live ein und baut damit durchaus rhythmische Soundlandschaften auf.

Während seine ersten beiden Alben weitgehend solo entstanden sind, hat er sich nun die Unterstützung von Götz Steeger (Bass) und Jürgen Sosnowski (Pedal-Steel) geholt, beide ansonsten bei Rotes Haus aktiv. Eine Zusammenarbeit, die dem neuen Album musikalisch sicherlich geholfen hat.

Vor allem textlich erschließt sich schnell, was Degenhardt meint, wenn er seine Lieder als "Anti-Pop" charakterisiert. Eine Abgrenzung, die er auch mit Blick auf das, was man als Pop-Linke bezeichnet, vornimmt. "Von dem kritischen Bewusstsein, dass hier einigen unterstellt wird, ist in der Musik ja nicht allzu viel zu hören," findet er. Das Produkt Platte werde lediglich mit einer "Subversions-Signatur" aufgeladen und das ganze helfe vor allem der Promotion und dem Absatz. Degenhardt sieht sich explizit als "Musiker, der politische Lieder macht". Keine Frage, besonders populär sind solche Statements dieser Tage sicher nicht.

Textlich sind die neuen Songs reichlich vielseitig. In dem nach einer Station im Gefängnis Fuhlsbüttel benannten Stück "Dora 2" beschreibt er die Situation eines dort inhaftierten Gefangenen. "Southern Comfort (euer Eigentum)" handelt von den Kolonialisierten der Dritten Welt, die Touristen und Geschäftsleute mit der Eigentumsfrage konfrontieren. "Bevor wir verteilen" entstand nach den Ereignissen im August 2001 in Genua, bei denen die italienische Polizei massenweise und willkürlich Globalisierungsgegner jagte, krankenhausreif prügelte und einen Demonstranten sogar erschoss.

"Ay Carmela" ist nicht nur ein Traditional, das von den Kämpfen der Internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 gegen die Franco-Faschisten erzählt. Mit Hinweisen auf Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Solingen und andere Orte von Menschenjagden will Degenhardt auch "einen Zusammenhang zum hier und heute notwendigen antifaschistischen Kampf" herstellen. In "Letter to Lenin" erzählt er die Geschichte einer jungen ostdeutschen Frau, die kurz nach der Wiedervereinigung in die Mühlen der Deregulierung gerät. Wenn Degenhardt in diesem Stück von der Deutschen Post singt, ist es vielleicht hilfreich zu wissen, dass Lenin in seiner Schrift Staat und Revolution die Post als "Muster sozialistischer Wirtschaft" bezeichnete, welche perspektivisch jedem das Recht zusichere, "eine beliebige Menge Trüffeln, Autos und Klaviere u. dgl. m. zu erhalten". Und im Stile eines flotten Cajun macht sich Degenhardt in dem Song "Claqueur" über die Musikbranche in Person eines Promoters lustig. Vielleicht wäre es ja bündnispolitisch für diejenigen Bands, die die Regierung stürzen wollen, ganz interessant, in die neue CD von Kai Degenhardt mal reinzuhören.

Kai Degenhardts Briefe aus der Ebene kann im Internet unter www.plattenbau.de bestellt werden (13 Euro)

taz Hamburg Nr. 6966 vom 29.1.2003, Seite 23, 159 Zeilen (Kommentar), DIRK SEIFERT, Rezension