Stoppok und die Elenden

Die Gewinner des Rio-Reiser-Songwettbewerbs 2001 stellen mit Bacilly ihr Erstlingswerk vor - und wie!

Doch erst mal muß was zu Stoppok gesagt sein. Der ist gerade auf Tournee, um seine neue CD W.e.l.l.n.e.s.s. vorzustellen. Wer den bislang nicht live gesehen hat, dürfte kaum in der Lage sein, zu verstehen, warum Stoppok derart leidenschaftliche Fans hat. Denn sein Sound ist nicht gerade modern oder gar als angesagt zu bezeichnen. Das ist so eine Mischung aus Liedermacher und Rock, ein wenig melancholisch, in jedem Fall immer auch selbstironisch. Irgendwie erinnert er ein wenig an Klaus Lage. Es mag aber sein, dass die Ohren der Elbanwohner einfach mit den Dialekten des Ruhrpots (der kommt aus Essen) nicht so ganz klarkommen. Doch wie Stephan Stoppok diesen Sound von der Bühne bringt, ist ein Erlebnis. Der Mann ist ununterbrochen im Dialog mit seinem Publikum.

Stoppok ist Textlich dicht an den Alltäglichkeiten des Lebens dran, an dem proletarischen Leben möchte man hinzufügen. Sei es, dass er sich auf seine Weise mit der Reintegration von ehemaligen Strafgefangenen (auf der CD Aschklar, Aus dem Beton) oder wie auf der neuen Platte damit befaßt, wie aus einem One night stand (W.e.l.l.n.e.s.s.) eine Familie entsteht oder "gescheiterte Existenzen" sich zu hause einmauern, an der Gegenwart verzweifeln, nur noch in der Vergangenheit leben (Die Festung).

Mit Mainstream hat er nicht viel am Hut: "Stell nichts in Frage, das ist gegen die Regel. Trink regelmäßig, halt immer den Pegel. Dann merkst du schnell, das es gar nicht schlecht ist, und was früher für dich schrecklich war, dir jetzt gerade recht ist. Willkommen hier im Abenteuerland, wo der letzte Rest Verstand auf mysteriöse Weise verschwand. Leben pur, auf der Schmalspur" (Abenteuerland). Und selbst für die Ereignisse nach dem 11. September hat Stoppok schon im April 2001 was zu bieten: "Alles was uns mal im Wege stand, ob ein alter Krüppel oder ein ganzes Land. Haben wir einfach beseitigt, das es uns nicht mehr stört. Alles was wir tun ist nie verkehrt." (Die Gladiatoren)

Eigentlich müßte man bei Die Elenden über die Frage von Integration und Multikulti nachdenken. Immerhin stammen die aus dem tiefsten Ostdeutschland, aus der Uckermark nahe der polnischen Grenze und sind also in der DDR auf die Welt gekommen. Doch mit Provinz oder Ende der Welt haben die rein gar nichts zu tun. Eine derartig lebendige und furiose CD ist mir lange nicht auf dem Tisch gekommen. Musikalisch ziehen die Jungs ein Feuerwerk ab: Rock als Grundlage fetzten die Elenden über Folk, Ska und Reggae bis hin zur Polka. Die schmeißen mit einer Lebenslust um sich, dass es eine wahre Pracht ist: "Ich will dich erleben, will dich spüren, mich mit deiner Nähe verführen (Strahlende Augen)" Die haken in die brutale Grausamkeit des zweisamen Alterns: "Macht euch einfach keine Sorgen ihr habt ja noch das Fernsehprogramm (Es wird nie mehr so geil)". Die strotzten vor Frivolität zwischen Teenager und (Jung)Erwachsen, Männlich. Damals in der Schule: "Glotzt der Lehrerin in ihre Bluse, ihr Gerede macht dich krank, was dich interessiert, war was sich unter ihrem Rock bewegt" (Einmal arschgefickt). Oder in Sweet Jane: "Tarzan war ein junger Mann, lange Haare, jede Menge Muskeln dran. Er schwingt sich von Liane zu Christiane und Cheetah lutscht die Banane." Fast jeder Song wirft die spannende Frage auf, wie das Urteil des Revolutionstribunals ausfällt: Sexismus oder Freispruch?

Die Elenden haben im letzten Herbst den Rio-Reiser-Songwettbewerb gewonnen und die Plattenproduktion zum Preis bekommen. So ist die CD Bacilly jetzt bei Möbius Rekords erschienen und beim (ost)deutschen Buschfunk im Vertrieb. Die Kraft und Impulsivität, die aus den Texten springt, lassen durchaus an Scherben und Rio Reiser denken. Die Stücke sind nicht per se politisch und vielleicht würde sich die Band nicht mal mit dem Wort links identifizieren können. Aber es gibt für diese in Musik gegossene Lust auf und am Leben eigentlich nur einen Ort: Links, mit allen Macken, allem Wahnsinn und allem Scheitern. Hoffentlich bald überall auf Tour!

DSe, rock-links.de

Die Elenden, Bacilly (Möbius Records), www.buschfunk.de

Stoppok, W.e.l.l.n.e.s.s. (la-la-land), www.indigo.de