1. |
Ihrer
Biographie entnehmen wir, dass sie die Aufnahmeprüfungen zum
Schauspielstudium bestanden hatten, als Sie plötzlich Ihre
musikalische Karriere mit der Band JESSICA begannen. Wie kam dieser
Gesinnungswechsel? |
Eigentlich
hätte ich gern beides getan. Aber der damalige Rektor der
Schauspielschule Ost-Berlins nötigte mich zu einer Entscheidung. Da
entschied ich mich für Teamwork in einer Band. Ich war 19 Jahre jung,
im New-Wave-Fieber und ein euphorischer POLICE-Fan. Und ich hatte das
Gefühl, diese neue Weltsprache selbst auch sprechen können. |
2. |
Und?
Konnten Sie's?
|
Das
englische Fernsehen entdeckte uns in den Straßen von Ostberlin. Wir
produzierten einen Song, dann ein Video. Waren sofort in aller Munde.
Produzierten dann den zweiten Song „Ich beobachte Dich" und
hatten den Durchbruch. Schon nach 4 Monaten konnte ich mir nicht mehr
vorstellen, dass ich gerade noch Student werden wollte. Wir spielten
jeden Tag Konzerte und gingen nachts und vormittags ins Studio. Jeder
kannte uns. Die Mädchen rissen sich in den Konzerten die Klamotten
kaputt oder belagerten die Hotels. Wir schrieben unsere eigenen Lieder
und durchlebten einen Höhenrausch. Zwei Jahre lang.
|
3. |
Dann
wurde Ihre Band von den DDR-Behörden mittels Grundwehrdienst
demontiert. Ihnen wurde eine Solokarriere schmackhaft gemacht. Was
glauben Sie, warum das geschah? |
Wir
hatten wie die netten Jungs ausgesehen aber wir waren unbequem für die
Kulturmacher, denn wir hielten uns an keine Regeln. Wir kannten sie
nicht mal. Schon, dass wir die Engländer mit in unseren Proberaum
genommen hatten, war Regelbruch. Und so ging das weiter. Es wurde zum
Zauberlehrlingssyndrom und da wir eine geschlossene Gang waren, musste
man uns alle gemeinsam „auf den Teppich holen".
Sie
gaben sich dann große Mühe mit dem Solisten EISBRENNER bis sie
merkten, dass auch der kein Konformist war. Aber da fiel schon die
Mauer und das ganze komische System ging den Bach runter.
|
4. |
Ein
System, zu dem auch Sie gehörten? |
Sehr
wohl. Ich hatte als Jahrgang 62 meine Kindheit in einem erstarkenden
Sozialismus verlebt, drei Jahre davon in Bulgarien. Als ich zu denken
anfing, begannen sich die Schwächen des Systems zu zeigen. Aber ich
liebte mein Land. Ich stand immer auf der Seite derer, die es von innen
verbessern wollten. Ich brach die Regeln aber ich gehörte dazu.
|
5. |
Was
glauben Sie war gut in der DDR – vielleicht besser als heute im
geeinten Deutschland?
|
Für
die Allgemeinheit in erster Linie das Sozialsystem. Niemand sorgte sich
um sein Auskommen. Jeder wurde gebraucht und hatte seinen Platz in der
Gesellschaft. Wir konnten uns nicht einmal vorstellen, was
Arbeitslosigkeit und soziales Elend bedeuten. Es schien uns ein reines
Propagandamittel unserer Politiker zu sein. Diesbezüglich mussten wir
bis heute alle gründlich dazulernen. Speziell
für die Kunst war diese soziale Sicherheit natürlich auch ein
fruchtbarer Boden. Man war nicht um des Überlebens willen gezwungen,
seine Kunst zu verkaufen. Es geschah, wenn man ein gutes Lied hatte
oder ein Bild etc. Und jeder konnte sich Kunst und Bildung auch
leisten. Das ist heute nicht mehr so.
|
6. |
Und
was halten Sie für einen Gewinn durch den Mauerfall? |
Da
würde ich die erweiterten Möglichkeiten vorn anstellen. Du kannst
Dich heute mit einer Idee und etwas Glück auf der ganzen Welt
verwirklichen und Deinen Weg finden. Warum das in vielen Fällen nur
Theorie bleibt, ist uns allen klar. Aber die Möglichkeit an sich fördert
den kreativen Geist. Außerdem hoffe ich immer noch, dass die Reiselust
der Deutschen uns auch weltoffener macht. Hier allerdings habe ich oft
das Gefühl, dass wir reisehungrigen Ossis mehr über die Welt wussten
als unsere Verwandten hinter dem eisernen Vorhang. Oder fragen sie
heute mal einen Jugendlichen, wer Dostojewski und Hemingway waren, was
Bertold Brecht geschrieben hat und wo das Kap der guten Hoffnung liegt.
|
7. |
Stichwort
Brecht. Sie singen auch immer wieder eigene Brechtabende. Kommt das
noch aus Ihrer alten Schauspielerleidenschaft?
|
Im
Ursprung sicher. Aber Brecht war und ist damals wie heute ein scharfer
Kritiker der kapitalistischen Ordnung. Er war Humanist und Dialektiker.
Die meisten seiner Werke haben nicht die Bohne an Aktualität verloren.
Brecht hat mir geholfen, Dinge zu erkennen und auf den Punkt zu
formulieren. Brecht hat einen gesunden Zweifel in mir gesät, der mir
hilft, mich in der Welt zurechtzufinden. |
8. |
Es
heißt, Sie gehen den „indianischen Weg". Was darf man sich
darunter vorstellen?
|
Nun,
diese Formulierung ist eine Mediengeburt und ich weiß nicht, ob sie
auf mich wirklich zutrifft. Die Welt der Indianer hat mich von
Kindesalter an stark in ihren Bann gezogen und deshalb habe ich ab 1989
immer wieder Kontakt zu Indianern gesucht, um bei ihnen zu lernen. Aber
auch um ihnen in ihrem Kampf, der oft auch ein Kampf um die letzten
heiligen Güter der Erde ist, zu helfen. Ich leite den BIG CIRCLE int.
(Verein zur Unterstützung indigener Kulturen). Ich habe viel gelernt
in der Zeit und in manchem einen neuen Blick bekommen. Ich glaube an
die Kräfte der Natur und setze mich zu ihnen ins Verhältnis. Ich
achte das Sichtbare und Unsichtbare des Universums und suche nach der
Gemeinsamkeit zwischen mir und jedweder Ausdrucksform des Geistes. Dies
sind Bestandteile des indianischen Weges.
|
9. |
Dann
mögen Sie sicher auch Kinder? |
Ich
habe 4 davon. Ist das Antwort genug? |
10. |
Sie
leben als Urberliner auf einem Bauernhof in Mecklenburg-Vorpommern.
Eine Flucht? Wovor? |
Lärm,
kulturelle Vielfalt und Zerstreuung, Massen von Menschen, Kontakte,
Anonymität – all das habe ich auf den Tourneen. Wozu also
Berlin? Der Landhof und die Natur halten mir das Gleichgewicht in
meinem Zigeunerdasein. Außerdem wachsen die Kinder auf dem Lande behüteter
auf. Sie sollen Natur kennen lernen, bevor sie sich ins Getümmel der
Großstädte werfen. |
11. |
Sind
Sie ein Mensch, der sich von seinen Leidenschaften leiten lässt? |
Leidenschaft
und Lust sind immer gute Motoren für den Weg durchs Leben. Natürlich
sollten sich zu ihnen Verstand, Verantwortungsgefühl und Gelassenheit
gesellen, um das Errungene auch pflegen und erhalten zu können.
|
12. |
Wie
wichtig ist die Liebe für Ihre Kreativität als Sänger, Komponist und
Autor?
|
Es
gibt verschiedene Arten der Liebe. Sie zu entdecken und sogar leben zu
können, ist ein großes Abenteuer. Jeder Mensch und besonders Künstler
sollten in diesem Sinne Abenteurer sein. Ein Künstler schon deswegen,
weil er der Botschafter zwischen dem pragmatischen alltäglichen Sein
und den Gefühlswelten dahinter ist. Wir können vieles erforschen und
sehen, aber manches nur, wenn wir es auch fühlen. Künstler sind die Fährtenleser
dieser Gefühle und sie können uns so den Blick für die verborgensten
Geheimnisse öffnen. |
13. |
Sie
feiern nun auch schon 20 Jahre Bühne. Unter welchen Umständen könnten
Sie sich eine Re-Union von JESSICA vorstellen? |
Eigentlich
gar nicht oder vielleicht wegen Geld? Aber das wäre mir kein
ausreichendes Motiv. Es müsste sich um eine neue Idee handeln und
nicht um den Aufguss des Alten. Wir waren ein sehr starkes Team und könnten
es sicher auch wieder sein. Aber ich selbst wüsste jetzt eigentlich
nichts, was ich nicht auch ohne diese Band tun könnte. Im Gegenteil,
es würde mich einschränken. Und was könnte dafür ein Motiv sein.
Sicher nur kreative Arbeit, die etwas eigenes Neues hervorbringt, was
dann auch wieder den alten Namen tragen kann. Und zu dieser Arbeit müssten
einleitend alle Lust und den Willen haben. Vielleicht ist das eines
Tages so. |
14. |
Was
glauben Sie ist Ihr größter Fehler? |
Schöne
charismatische Frauen.
|
15. |
Und
Ihre größte Stärke? |
Schöne
charismatische Frauen. |
16. |
Was
denken Sie über George W. Bush? |
Es
ist nie ein einzelner Mann, der die Geschichte bewegt. Wir sollten uns
besser fragen, inwiefern wir die Basis für das „Prinzip
Bush" bilden. Sein Problem ist, dass er die Welt nicht kennt. Er
sagt er führe Krieg gegen die Achse des Bösen. Das Gegenteil ist der
Fall: Er wird dem Terrorismus noch mehr Zunder geben. Der Amerikaner
hat noch nicht begriffen – der Amerikaner muss weitere Lektionen
erhalten.
|
17. |
Was
meinen Sie zur Politik der Bundesregierung in Fragen Irakkonflikt? |
Ich
rechne Schröder seine bisherige Konsequenz in der Antikriegsaussage
hoch an. Wir müssen in den Frieden investieren. Auch wenn es mit Krieg
mehr zu verdienen gibt. Wir alle wohnen auf der gleichen Mutter Erde.
|
18. |
Was
will Eisbrenner tun, um die Welt besser zu machen? |
Das
ist eine sehr globale Frage. Ich versuche mit meiner Musik, den Texten
und der Erfahrung von 3 Gesellschaftsordnungen (wenn man die Zeit bei
den Indianern mitrechnet) den Menschen Inseln und Brücken zu bauen.
Ich versuche auch ihnen Geschichten zu erzählen und sie sensibel zu
machen für das was um uns geschieht. Aber ich erzähle auch viele
Alltagsgeschichten und ich suche immer nach der Magie des Lachens. Und
ich bin mir sicher: Wer Eisbrenner mag, der mag auch andere Rassen und
Kulturen, mag die Natur, mag die Welt.
|
19. |
Sind
Sie froh ein Deutscher zu sein? |
Ich
bin in Deutschland geboren und ich liebe meine Heimat. Ich liebe meine
Sprache und ehre die Kunst, die auf deutschem Boden entstanden ist und
entsteht. Aber als Deutscher fühle ich mich als Teil des Ganzen, als
Weltenbürger und Kosmopolit. Und ich glaube jeder gute Deutsche fühlt
ebenso.
|
20. |
Woran
arbeiten Sie zur Zeit? |
Ich
bin mit einem „Best of 20 years"-Programm unterwegs und
arbeite parallel dazu an meinem nächsten Studioalbum, das im Januar
2004 erscheinen soll.
Außerdem
stehen einige Projekte in Lateinamerika zur Unterstützung der dortigen
Ureinwohner an. Und ich unterstütze einige Antikriegsprojekte mit
Konzertauftritten. Zum Beispiel am 15.02. in Berlin vor dem
Brandenburger Tor. Alles in allem ein wieder viel zu kurzes Jahr.
|