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John Banses Reise übers Meer 
  Obwohl John Banse nie bei Ton Steine Scherben mitgespielt hat, gehört er fast seit den Anfängen zur vielzitierten Scherben-Familie. Seine Geschichte in der ersten Hälfte der 70er Jahre kann man sich jetzt als Hörbuch-CD erzählen lassen.

Quelle: September-Ausgabe 2004 von ak-analyse+kritik

1970 haut er - nach einem Konzert von Ton Steine Scherben, bei dem er Rio Reiser kennen lernte - aus dem Erziehungsheim, in dem er gerade untergebracht war und in dem er immer wieder auch handgreiflichen Ärger mit den Erziehern hat, ab. Er will nach Berlin, auf der Suche nach den Scherben und weg von dem Leben in den Heimen. Er ist 15, als er bei Helmstedt auf die Ladefläche eine LKWs klettert, der mit Rosinen beladen ist – und er wird mitten auf der Transitstrecke von Volkspolizisten entdeckt.


So beginnt die Geschichte von John Banse, die vor kurzem als Doppel-CD-Hörbuch erschienen ist und die über Johns Leben in den Jahren zwischen 1970 bis 1975 erzählt. Die Geschichte eines entflohenen Heimkindes, eines Trebers, der in der Polit- und Anarcho-Szene in Berlin aufschlägt. Trine Heue von Radio Corax, einem freien Sender aus Halle, ist es zu verdanken, dass diese CD möglich wurde, denn sie hatte sich die Texte von John Banse geschnappt und für eine Sendung bei Radio Corax im Studio gelesen und aufgenommen. Und dann ist da noch Dirk Schlömer, der letzte Gitarrist von Ton Steine Scherben, der mit John Banse gemeinsam eine stattliche Anzahl von Songs einspielte, die nun ebenfalls auf der CD zu hören sind – immer abwechselnd mit der Lesung. Die Musik, bei er es sich um zahlreiche Texte von Rio Reiser und den Scherben handelt, ist allerdings gewöhnungsbedürftig. Denn durchgängig sind den Songs neue Melodien verpasst worden. Und außerdem hat Banse schon eine sehr eigenwillige Art, das zu singen.

Der Hörbuch-Teil aber ist ein echter Leckerbissen und ein Zeitdokument, dass sich des Hörens lohnt. Nachdem Banse von der DDR nach Westberlin abgeschoben wird, ist er in Berlin auf der Straße unterwegs, zwischen Grunewaldsee und den Yorckbrücken. Dort tritt er auch R.P.S. Lanrue und Schlotterer von Ton Steine Scherben wieder. Die beiden haben gerade Streit über eine Frau, über Schischi (Christine), die damalige Ehefrau des heutigen Innenministers Otto Schily. John Banse hängt sich an die beiden ran und ist seitdem regelmäßiger Gast in der Scherben-Kommune am Tempelhofer Ufer. Rio Reiser wird spätestens jetzt zu seinem großen Idol, zu einer Art Ersatzvater.


Das politische und soziale Klima im Westen Berlins dieser Tage beschreibt aber auch die Geschichte, wie 1970 das Rolling Stones Konzert in der Berliner Deutschlandhalle gestürmt wird. Über die eingeschlagenen Fenster im ersten Stock dringen hunderte von Leuten ohne Karte in die Halle ein, in der die Stones spielten. Nach erfolgreichem Kampf haut sich Banse die Birne mit Drogen voll, gerät hinter die Absperrungen und steht plötzlich vor Keith Richard, Mick Jagger und Bill Wyman. Als Richard ihn anspricht versteht Banse statt „follow me“ „fuck me“ und geht seelig mit…

Zwischen Rauch-Haus, 2. Juni und Knast

John hält sich in dieser Zeit mit Laden- und Taschendiebstählen über Wasser, geht bei den Scherben am Tempelhofer-Ufer ein und aus. Auf allen Demos dieser Tage ist er dabei, fährt mit zu der Anti-Olympia-Demo nach München, die in einer riesigen Keilerei zwischen Bullen und Demonstranten endet. Nach der Ermordung von Georg von Rauch ist er dabei, als am Kreuzberger Mariannenplatz das bis dahin leer stehende ehemalige Bethanien-Schwesternheim besetzt wird. Im Georg-von-Rauch-Haus, regelmäßig von Hunderschaften Polizei umstellt und durchsucht, zwischen Trebern, Lehrlingen, Politaktivisten, Anarchos und anderen Revolutionären wird Banse zum Stadtindianer und bekommt - zu ersten mal in seinem Leben - ein eigenes Zimmer. Im aufgeheizten politischen Klima Westberlins Anfang der 70er Jahre, gerät er ins Fadenkreuz der Bullen. Er kennt die Leute, die sich zur Roten Armee Fraktion und zur Bewegung 2. Juni zusammentun, Anschläge verüben, bei denen es auch zu Verletzten und Toten kommt. Und da er selbst im Rauchhaus immer mal wieder Sprengstoffe ausprobierte, die er im Tausch von Drogen von amerikanischen Soldaten besorgte, wird er schließlich wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord festgenommen und monatelang durch die Mühlen der Staatsschutzorgane gedreht. Auf einem Feuerlöscher, den später Leute vom 2. Juni für einen Anschlage benutzten, waren seine Fingerabdrücke gefunden worden. Während er in dieser Geschichte freigelassen werden musste, geht Banse 1975 für einige Jahre wegen Waffen- und Drogenhandel in den Knast. Doch diese Geschichte ist schon nicht mehr Bestandteil der Hörspiel-CD. Die CD endet mit dem Bruch zwischen der Scherben-Kommune im Tempelhofer-Ufer und den Rauch-Haus-Leuten. Banse erzählt von dem Riesen-Streit, den die Scherben mit den Polit-Aktivisten des Rauch-Hauses haben, der zu einem Bruch führt und der so was wie einen letzten Baustein darstellte, dass die Scherben ihre Zelt in Berlin abbrachen, um schließlich 1975 in das nordfriesische Fresenhagen, kurz vor der dänischen Grenze, zu ziehen.


Natürlich erzählt John Banse seine Geschichte in der ersten Hälfte der 70er Jahre in Berlin gnadenlos subjektiv und mit einer gehörigen Portion Eitelkeit. Die Vergötterung, die er seinem Ziehvater Rio Reiser angedeihen lässt, ist nicht immer nur rührend, sondern lässt einen auch manches Mal ratlos und kopfschüttelnd zurück. Doch Banse ist ein durch und durch schräger Typ. Nur 155 cm groß, mit langen, glatten Haaren, einem Gesicht, dass jede Menge leben anzeigt, schlägt sich Banse seit Jahren improvisierend durchs Leben: Lebt in Christiania, lernt dort das Bäcker-Handwerk, zieht als Straßenmusiker durch die Lande, sitzt dann wieder für einige Zeit in Norwegen im Knast und ist dann irgendwann mit anderen Leuten als Modedesigner am Start. Das muss man alles erstmal irgendwie auf die Reihe bringen.

DSe (www.rock-links.de)


John Banse (mit Brigade Bunt u.a.), EisZeitreise über´s Meer, Gelesen von Trine Heue, www.uebersmeer.de

Info-Links:

Zum Tod von Georg von Rauch:

http://www.contramotion.com/about/gvr/zugeorgvonrauch.html
Passend zur CD auch das erste Scherben-Buch „Guten morgen“ als Download auf www.riolyrics.de