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Ich bin eine Amsel
Schorsch Kameruns Griff nach der Bühne
von Andreas Fanizadeh aus WoZ-Online, 29.5.2003
Das Stück «Macht fressen Würde» am Schauspielhaus Zürich löst eine Kontroverse aus. Befindet sich der frühere Punker Kamerun «im goldenen Käfig des Theaters», oder zersägt er nicht doch das ein oder andere silberne Stäbchen?

Auch Kurt Aeschbacher mochte nicht Nein sagen. Per Videoübertragung lässt sich der Fernsehtalker von der Ecke Militär-/Langstrasse direkt auf eine Leinwand der Schauspielbühne im Pfauen schalten. Schorsch Kamerun setzt ihn als Liveberichterstatter für sein Stück in Szene. Der Sonderkorrespondent drängt aus dem Neonlicht der Langstrasse förmlich in die Kamera und in den Zürcher Pfauen. Im Hintergrund robben Einsatzkommandos von Kameruns Bürger ohne Angst (BOA) durch die Hinterhöfe. In die gleissenden Lichtfallen im Kreis 4 tappen verhuschte Gestalten. Aeschbacher meldet Vollzug: Kleinkriminelle aufgegriffen, drei Ausschaffungen sofort getätigt.

Im Pfauen sitzt auf der Bühne ein dekadenter fülliger Mann und leitet mit seinem Quietsch-Entchen eine Asyllotterie. Aus dem umzäunten «Belastungscamp» werden die in Trachten gekleideten KandidatInnen vorgeführt. Eine überzeichnete Groteske. Die Kommandobrücke schwebt hernieder, das Komitee hebt unter wieherndem Gegröle die Schilder: Ab nach Afrika. Schauspieler tragen Le-Pen-, Blocher- oder Haider-Masken, über das digitale Leuchtband flimmern die Namen der Führer des europäischen Rechtspopulismus, darunter auch der des ermordeten Holländers Pim Fortuyn.

Zweibeiner wanken in Giraffenkostümen psychedelisch über die Bühne. Warme Farben, ein Brotbaum aus Pappe mit darin aufgelöster Schweizer Karte. Eine Schweizer Bundesrätin in Afrika, Rückführungsabkommen. Es chillt, man möchte am liebsten etwas konsumieren. «Wenn du dir schon Illusionen machst, dann aber richtig», singt ein pathetisch verulkter Gastarbeiter und schnulzt sich ins Herz einer naiv-reinen Märchenprinzessin. Das gefällt den finsteren Herren (und den wenigen Damen) von der «Alpenallianz» gar nicht. Höchstes Sicherheitsdispositiv und historische Analogie schon in der Eingangsszene: in Tretbooten treffen sie sich zur «Züriseekonferenz» und beschliessen den Alpenpakt. Die Pedalos drehen sich im Kreis, ein elliptisches Bullauge gibt den Videoblick vom See auf Stadt und Agglo preis. Meilen, Stäfa, Goldküste und City. Der operettenhafte Österreicher, Kutscher im Fiakergewand, ist wie die Prinzessin von Liechtenstein – historische Reminiszenz und Hilfstruppe zugleich:

Das Sagen haben aber andere Figuren wie Herr Dachs oder Frau Amsel. «Ich bin eine Amsel und nicht Hauptmann Haiders Frau.» Die begehrliche und unnahbare Frau Amsel ist die Macht der Jetztzeit. Sie hat den Hosenanzug an, ist schön, international, selbstbewusst und kühl. Also US- und nicht SVP- oder FPÖ-Typus. Den dominierenden Prototyp des autoritären Charakters repräsentieren in Kameruns Stück Managertypen wie sie. Ihr bizarrer emotionaler Ausbruch am Klavierflügel weist jedoch auf ein altes Programm: hart gegen andere und weich zu sich selbst. Die Amsel ist ein harmloser Vogel. Ein Vogelbildchen projizieren Kamerun und Rocko Shamoni in einer Dia-Show-Einlage auf die Bühnenleinwand im Pfauen. Es steht im Kontrast zu einem vorherigen Dia, einem Werbeschild der Firma Waffen-Wichser aus Glarus. Darf man das, ist das nicht zu simpel? Das Symbol für die heutige Macht eine Amsel, kein Adler, kein Schäferhund oder Löwe.

In der Suche, komplexe Zusammenhänge auf einfache Bilder herunterzubrechen, liegt immer auch ein grosses Risiko. Es gibt kaum etwas Schwierigeres, als präzise zu vereinfachen und dadurch auf eine direkte Wirkung beim Publikum zu zielen. Ein nur halb gelungener Gag, ein nicht ganz stimmiges populär lesbares Bild provoziert sofort die Kritik. Abstraktere Sprachen können immer noch mit dem Unverständnis rechnen. Etwas böse gesagt: Läuft im klassischen Theater etwas schief, schnarcht das Publikum einfach darüber hinweg und wundert sich am Ende vielleicht über die Länge des Stücks. Die Autorität der Kunstform schottet oftmals gegen mögliche Interventionen ab. Und das autoritäre Subjekt möchte gesehen werden, aber auf keinen Fall in Austausch treten. Dieses Bündnis von saturierten BildungsbürgerInnen und GeniekünstlerInnen ist im konventionellen Betrieb immer noch Basis für ein volles Haus. Wir lassen uns gegenseitig in Ruhe: bis zum Theatergraben und keinen Schritt weiter.

Kamerun hingegen versucht wie so viele andere, das Kunst-Kunst-Ding zu durchbrechen, und begibt sich auch als Darsteller in den ungeschützten, offenen Raum. Zusammen mit Schamoni führt er als Jeans-Cop durch die Revue. Die beiden spielen dabei Popstars, die sie auf anderen Bühnen tatsächlich sind. Echt ist dabei gar nichts und dennoch nicht alles Spiel. Sie kritisieren von der Bühne herab die teuren Theater-Eintrittspreise, zeigen dem Publikum den Weg zur Raucherecke, lassen sich per Natel aus dem Theatersaal anrufen und darüber abstimmen, welches Lied sie am Ende singen sollen. Irritierend ist allerdings, dass bei der Premiere manchmal verschwamm, was bei Schamoni und Kamerun gewollt unprofessionell wirken sollte und was nicht. Die Kategorien der drei verschiedenen Darsteller-Gruppen – Popkünstler (Schamoni, Kamerun, Jens Rachut, Carsten Meyer und Michael von der Heide), Schauspieler des Ensembles und professionelle Laien bzw. UnterhaltungstänzerInnen – sind dramaturgisch nicht immer deutlich genug voneinander abgegrenzt, eine strengere Führung täte dem Stück gut. Schauspielerisch sind Oliver Mallison, Ludwig Boettger, Sylvana Krappatsch oder Josef Ostendorf ohnehin nicht zu toppen. Eine klare Rolle hat Carsten Meyer (Erobique, International Pony) in seinem Moa-Mobil. Als Moa, «Musiker ohne Angst», rollt er dank Bühnenbildner Damian Hitz mit Keyboard im Papp-Panzer über die Pfauen-Bühne. Das wäre sicherlich auch auf der Strasse schön anzusehen.

Den erklärten Gegnern des Stücks scheint es allerdings wenig um eine Theaterdiskussion zu gehen: Ob der bewundernswerte Chansonnier von der Heide als Messias am Kreuz wirklich eine gute Idee ist oder ob das eine oder andere distanzierter umgesetzt werden könnte, darüber liesse sich debattieren. «Die Hamburger Kiezbarden Schorsch Kamerun, Frontmann der Goldenen Zitronen, und Rocko Schamoni vom Golden Pudel Club sind die laute Reserve von Christoph Marthaler», schreibt jedoch Martin Halter, der Theaterkritiker der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». «'Macht fressen Würde' soll demonstrieren», sagt Halter, «dass die Punk-Pudel von St. Pauli eigentlich Kampfhunde sind, die Ausländerhasser und Rechtspopulisten kräftig in die strammen Waden zu beissen vermögen.» Bei gewissen Inhalten lassen sich manche Kommentare immer noch vorprogrammieren. Dennoch hat Kamerun seinen Teil zu dieser Kritik beigetragen, indem er die konkreten Akteure des Rechtspopulismus zu unscharf und gleichförmig auf die Premierenbühne brachte.

Dem Zürcher Schauspielhaus hat es bislang keineswegs geschadet, neben klassischen Theaterformen auch solche zu propagieren, die an ihrer Auflösung arbeiten. Das Haus ist in Bewegung und scheut auch, bei einer nach wie vor finanziell ungesicherten Zukunft, die gesellschaftliche und künstlerische Kontroverse nicht. zur Person: Schorsch Kamerun ist seit achtzehn Jahren Sänger der Band Die goldenen Zitronen. Zuletzt erschien unter dem Titel «Aussage gegen Aussage» eine Werkauswahl mit Songs aus den Jahren 1984 bis 2002. Der gelernte Automechaniker hat auch drei Soloalben veröffentlicht. Am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg inszenierte er 1999 Hubert Fichtes Roman «Die Palette», auf der Ruhrtriennale 2002 die «Hollywood-Elegien» von Hanns Eisler und Bert Brecht. Im letzten Jahr brachte er am Schauspielhaus Zürich «Der digitale Wikinger» zur Uraufführung.