Mellow Mark 
Die Cuba Story

Das Buch des Werner.

Dienstag, 3.2.04

Ankommen! Unglaublich, wir haben’s geschafft! CUBAAA! SÍ, SEÑOR! Nach 33000 Stunden Flug, 24 Fuß über dem Meer bei – 55°C Außentemperatur (jaja, was man mitten über dem Ozean nicht so alles interessant findet), endlich wieder festen Boden unter den Schlappen. Schööön! Benzingeschwängerte karibische Insel-Luft atmen! Dann sofort Nervosität. Mit den Zoll – und Einreisebeamten sei nicht zu spaßen und was habe man nicht schon alles gehört und so weiter und so fort… Paperlapapp! Wir sind freundlich, die sind’s auch und alles ist gut. Aber wir merken jetzt schon so langsam: Offizieller Gast der Buchmesse zu sein, hat unter Umständen seine Vorteile… Naja. mal sehn! Flugs werden wir dann in den VIP Bereich des Flughafen gezerrt, werden Leuten vorgestellt, bekommen unseren Übersetzer, Luis, der uns augenblicklich aufklärt, daß die DDR ein schönes Land und er damals in Dresden gewesen sei. Aha! Der stellvertretende Leiter der Buchmesse drückt ebenfalls noch sein Entzücken aus, spricht von einer großartigen Leistung im Kulturaustausch und überhaupt und so… Und ab ins Hotel oder wohin auch immer. Zwei Kleinbusse stehen dazu bereit, einzig scheint den Fahrern das Ziel der Reise nicht so ganz klar zu sein. So rumpeln (alle cubanischen Autos rumpeln, knattern, poltern oder donnern) wir eine Stunde lang durch Stadtviertel, Straßen und Hinterhöfe mit Wäscheleinen. Und zwar IMMER gleich mit allen BEIDEN Bussen. Na klar doch! Sozialismus eben. Dann endlich, die 5ta Avenida, entre 88 y 90, unsere “Casa de la promoción de la música” oder so ähnlich… Schlichte Ausstattung aber – hurra – mit Klimaanlage in jedem Zimmer. Hatte ich das eigentlich schon erwähnt? In Deutschland Abflug bei minus zehn Grad, hier hat’s mal locker 25. Und zwar PLUS! Jauuu! Wärmeee! Trotzdem schon wieder zu früh gefreut, denn nach dem Einschalten der Klimaanlagen lernen wir: Stille und Ruhe sind in Cuba blanker Luxus und demnach nicht mit dem sozialistischen Grundgedanken vereinbar. Die Dinger waren fabrikneu vielleicht mal “Supersilent”, wie das Etikett verspricht, haben aber locker schon zwei Jahrzehnte auf dem Buckel. Egal auch, wir werden mit Rum und Cerveza schon dafür sorgen daß uns Hören und Sehen vergeht. Also vor allem Hören! Dazu also auf zum Kiosk, Bier kaufen, sich sofort als Ausländer outen (wie nur! wie haben die das gemerkt?!?!) und die cubanische Offenherzigkeit kennen lernen. Zwei Latinas: “Na, wer seid ihr denn, oh, wo kommt ihr den her, aha, und was macht ihr heute noch, sos, ihr seid müde, ja und wollt ihr uns nicht mit auf eure Zimmer nehmen, nein?, oh schade, und morgen, was ist morgen? morgen vielleicht!?!?” – Danke nein, Auf (Nimmer-)Wiedersehen! Dann also kurze Lage-Checkung und ab in die Stadt! Havanna! Und wer hätt’s gedacht, es geht genau im gleichen Stil weiter: na wo kommt ihr denn her, hey sucht ihr Mädels, wollt ihr Zigarren, wollt ihr aussgehen, braucht ihr irgendwas, bei mir gibt’s alles, bla bla blaaaa! Wir befreien uns von einem Schwarm Huren, die urplötzlich und ohne Vorwarnung aus einem Hauseingang quellen und flüchten in ein kleines Straßencafé mit Live-Musik. Jaaa, so haben wir uns das immer vorgestellt! Schön sitzen, Mojito züllen und Guantanamera hören. Doch auch hier werden sofort wieder Dramen geschrieben. In Havanna gibt es nun mal jede Menge der Liebe nicht abgeneigter Mädels. Und zwar dürfen die uns nicht in das Café nachstellen, aber Blickkontakt lässt sich allemal herstellen. Und so kann man sie praktisch nicht abwenden, die ganz ganz große Liebe! Sie, jung, attraktiv, jedoch vom Leben bereits mit leichten Spuren versehen, von Beruf Prostituierte (sie war jung und brauchte das Geld, klar), er ebenfalls jung, schüchtern und Musiker, namentlich Uwe, unser Drummer! Und sie verschwindet auch ebenso schnell wieder, die ganz ganz große Liebe, und zwar genau in dem Moment, als er ihr seinen Beruf offenbart… Warum eigentlich? Wir dachten immer, Musiker sein öffnet einem die Herzen der Chicas… naja, egal. Gilt wohl nur für Gitarristen! Heim und nach tausend Stunden endlich ratzen.

Mittwoch, 4.2.04

Wir schlafen was weiß ich wie lange und entdecken beim Frühstück ein weiteres Stück cubanischer Lebensqualität: Brot ist voll chi-chi, Kräcker sind cool! Frikadellen ebenfalls! Alles klar, fremde Länder fremde Sitten und so weiter. Wenigstens hat man hier den Café erfunden und serviert ihn stark mit warmer Kondensmilch. Wir brechen anschließend auf, um die Stadt zu erkunden, fragen verdutzte Cubaner nach dem Weg und wissen ungefähr 8 (ACHT) Kilometer später warum man uns permanent wie geisteskranke beäugt hatte. Havanna ist groß und von Miramar kann (soll) man definitiv nicht in die Innenstadt laufen. Das wollten die Stadtplaner so! Das wissen wir jetzt (Ok, Benny wusste es von Anfang an, aber was zählt bitte der Irrglaube eines einzelnen!?!). Daß man hier blitzschnell Sonnenbrände bekommt, auch! Stimmt ja, wir sind in der Südsee… Entnervt und verhungert lassen wir uns von einem Taxifahrer aufsammeln und gleich auch über den Tisch ziehen: hey, dis is da best place to be. Ja und prompt auch der teuerste. Aber egal, wir essen, er wartet draußen. Wir wollen danach nicht mit ihm weiter fahren, er ist sauer. Wir fühlen uns schlecht, wie Imperialisten eben, die derartige Untergebenheit nicht im geringsten zu schätzen wissen… Voll Opfas und so! Wir schauen uns noch kurz auf dem Gelände der Buchmesse um, stellen fest, daß überall noch gebastelt wird und verschwinden schleunigst wieder. Was sonst noch alles an diesem Tag passiert weiß allerdings inzwischen keiner mehr so genau.

Donnerstag, 5.2.04

Eröffnung der “Feria del Libro 2004”. Fidel, dessen Namen man in Cuba übrigens nie ausspricht (eine stumme Geste, die einen lange Bart symbolisiert genügt da völlig), soll angeblich auch kommen. WOW! Doch zunächst wird mal mittags auf die Busse gewartet, im Viertelstundentakt Planänderungen verkündet und viel Zeit tot geschlagen. Dann stundenlange Eröffnungsreden und kein Fidel! Na toll! Schließlich Empfang mit Schnittchen, Sekt und Live-Musik. Novel Voz, ein A-Capella-Oktett mit einer bezaubernden Leadsängerin namens Susana, die augenblicklich in unsere zukünftigen Pläne auf Cuba integriert wird. Der Abend endet feuchtfröhlich und spät – keiner weiß mehr so genau wo und wann… schon erstaunlich, an was man sich alles nicht mehr erinnern kann!

Freitag, 6.2.04

Susanna schafft, was Carlos (der fähigste ALLER Carlosse: “Ohh, no sé...”) nicht tut. Sie checkt uns einen Proberaum aus, genauer gesagt, ihren eigenen. Denn wir sind eine fleißige Band und von wegen Urlaub in der Südsee und so! Nein gearbeitet wird hier, geprobt, geübt und rehearst. Wie bei den Popstars auf Pro7! Jawoll! Also, der Proberaum sei ab 4 Uhr frei und die Nachbarn hielten das schon für gewöhnlich für zwei, drei Stunden aus. Nichts wie los also, quer durch die Stadt, über Stock und Stein und Schlaglöcher aller Größen direkt in das Wohnzimmer von Susanas Eltern. Das ist ihr Proberaum! Ok…, ob wir niemanden störten… Nein nein, ist schon alles ok. Nur auf das Sofa dürften wir nichts legen, sonst geschähen angeblich Morde. Ok, wollen wir natürlich nicht. Kurz darauf weiß bereits das gesamte Viertel, was hier in Susanas Wohnzimmer passiert, denn eine Schall-Isolierung gibt’s genauso wenig wie Berührungsängste. Wir bekommen also Publikum, die Mutter, die Oma, die Tante, den Bruder, dessen Freundin, Hunde, Katzen und wer weiß noch wer. Aus drei Stunden werden vier, aus Unsicherheit wird Partylaune und Uwe, unser Drummer, findet zu seinem neuen Percussion-Mentor Alejandro, Susanas Cousin. Sofort wird gedealt: Percussion-Unterricht gegen Kleinmischpult. So lafft’s Bissness…

Samstag, 7.2.04

Pinar del Rio, wir kommen! Unser erster Auftritt. Und zwar MIT Susana und Alejandro. Die beiden hatten sich kurzerhand bereit erklärt bei uns mitzuspielen und auch die zweistündige Fahrt über’s Land eben mal mitzumachen. Na klar doch! Wir kommen an, es regnet zum ersten mal und der Spaß beginnt. Zuerst mal werden wir unserer Vorband vorgestellt. “Tendencias”. Aha. Death-Metal-Progressive-Rockmusik mit Latin und so. Nochmal aha! Und nein, länger als eine halbe Stunde wolle man nicht spielen: “We can play longer, but we don’t need it”. Ok, alles klar, keine Widerrede. Kiko, dem offenkundigen Chef der Band möchte man ohnehin lieber in nichts widersprechen. Ist eben ein richtiger Rocker…! Dann Ortsbesichtigung. Eine Art Freilicht-Theater mit riesiger Bühne. Geschäftiges Treiben überall, Kisten (Pappkisten!) werden geschleppt, Mischpulte verkabelt und viel durcheinander geredet. Und wir lernen: Hochspannungskabel sind dieserorts immer offen liegen zu lassen. Isolierung ist wie viele andere scheinbaren Errungenschaften der westlichen Welt einfach chi-chi, also schwul…! Wir trauen unseren Augen nicht, als an Stelle von Verlängerungskabeln einzelne Drähte in die Löcher der Steckdosen gebastelt werden, Starkstromkabel aneinander gelegt und mittels dünner Plastik-Streifen von Einkaufstüten miteinander verknotet werden und überhaupt die bizarrsten Installationen konstruiert werden. Wen wundern da noch Stichflammen im Monitor-Rack und ein Duzend geflogener Sicherungen. Hey, wir sind in Cuba, schon vergessen…? Das Ist das echte Leben, klar?! Das Konzert selbst ist nur leidlich besucht, vielleicht liegt’s am Regen, vielleicht auch daram daß uns schlichtweg kein Arsch kennt, wie auch immer immer. Die Party wird trotzdem noch gut und endet damit, daß düster-äugige und bleich-geschmickte Gothik-Latinas schön artig ihre Salsa tanzen und überhaupt plötzlich alle ausflippen, als wir anfangen “Mi Casa” zu spielen und Susana ihr Feature bekommt. Die eigene Musik, wenn auch von seltsamen Weißbroten gespielt, ist halt doch noch die schönste, gegessen wird schließlich zuhause…

Sonntag, 8.2.04

Na endlich! Unser Auftritt auf der “Cabaña”, der Fortaleza de San Irgendwer (Francisco?), der Festung von Havanna eben! Denn da findet ja seit ein paar Tagen schon die Buchmesse statt und die ist ja schließlich auch der Grund unseres kleinen Ausfluges in die Karibik. Das Zepter möchte man aber den Deutschen nicht ganz in die Hand geben, eine cubanische Vorgruppe muß schon sein Und dazu auch noch eine der bekanntesten und beliebtesten – zumindest auf der Insel. Der Name? Schon vergessen, aber der Sound ist eine kuriose Mischung aus 80er Jahre Pop und… hmmm… 80er Jahre Pop, PUR auf Spanisch und Latin… na oder so ähnlich zumindest. Da man im allgemeinen in Cuba von Soundchecks nicht so viel hält, heißt dann die Devise, je länger ihr am Sound schraubt, umso kürzer könnt ihr spielen. Ok, ok, ok, wir beeilen uns ja schon… 60 Minuten also. Zu beginn sind die Zuschauer also eher skeptisch, kommen doch aus Deutschland für gewöhnlich Bratwürste, Pünktlichkeit und Stefan Mross. Wenig später allerdings wird jedem klar, daß wir mit den drei genannten Dingen nicht im geringsten dienen können, dafür aber die Leutchen schön mit unserer deutschen Reggae-Mukke begeistern können. Alle gehen richtig ab und nach dem Konzert muß von uns signiert werden, was nicht niet- und nagelfest ist. Äußerst beliebt auch Marks Hintern – der auf dem Tourplakat 2003, ihr erinnert euch? A propos nach dem Konzert: Warum wir letztendlich nach 60 Minuten aufhören MUSSTEN, und zwar ohne Wenn und Aber? Eine Kanone! Eine olle Kanone! Die wird nämlich jeden Tag (oder vielleicht auch nur jeden Sonntag) zu Ehren von von jemanden abgefeuert. Und das kann unter gar keinen Umständen ausfallen oder gar übertönt werden von einer Kraut-Reggae-Band… No, señor! Ni hablar! Y BASTA! Also fügen wir uns eben der Staatsgewalt. Wer will schon Fidel widersprechen… Im Anschluss soll es noch in eine schöne Bar gehen, lecker entspannen. Susana und Alejandro helfen uns verzweifelt bei der Suche aber irgendwie sind alle interessanten Läden zu voll, haben zu oder an diesem Abend Romantic-Disco-Night. Also landen wir in einer Jazz-Bar, dem JAZZ-CAFE Havanna. Jaja, da gebe es Live-Musik und es sei richtig cool… was wir aber eigentlich nicht sooo wörtlich gemeint hatten! In diesem Laden, in dem mehr oder weniger nur Touristen und cubanische Nutten abhängen, läuft die Klimaanlage derartig auf Hochtouren, daß wir – ungelogen – mit Jacken bei knapp minus 120 Grad unsere Mojitos und Cuba Libres schlürfen müssen! Einige sind so mutig und essen zudem noch etwas, was der Truppe Verluste einbringt… “Lasst mich zurück, ich kann nicht mehr weiter… ihr müsst ohne mich weiter… meine Beine, ich kann meine Beine nicht mehr spüren…” Werner bekommt von der lausigen Pasta derartig den Magen verdreht, daß er nur knapp am Koma vorbei fällt und erst mal so richtig ausgiebig kotzt, während die anderen zusammen mit Eloy, dem Busfahrer, das John Lennon Denkmal besingen und schööön ihr entrinnen aus der grausigen Eishölle feiern. Zu Hause im Feldbett wird noch mal gekotzt. Und dann noch vier mal… Hui, das macht einen Mords-Spaß!

Montag, 9.2.04

Werner betrachtet sich von seinem Bett aus den ganzen Tag ausgiebig die Zimmerdecke, während die anderen irgendwo in der Sonne herum tollen. Wo überall weiß keiner mehr so genau… (Irgendwer erzählt noch etwas von einer Klassik-CD-Release-Party im Vollsuff um 10 Uhr morgens… So macht Musik Spaß...)

Dienstag, 10.2.04

Die Truppe spaltet sich. In einen arbeitenden Teil und einen – naja – urlaubenden Teil… Mark kurvt mit den arbeitenden zum Video-Dreh mit einem äußerst sehenswürdigen Oldteimer quer durch Havanna, während Uwe und Werner kurzerhand dem Percussion-Unterricht von Alejandro in der Universität beiwohnen – und sogleich lernen: ES ist ihnen NICHT angeboren. Sie müssen tatsächlich auch üben. Cubaner können nicht einfach so Musik machen, nein, die müssen da auch was für tun – Hurra, wird sind gerettet! Wir haben noch eine Chance! Und für’s Tanzen gilt das ja vielleicht auch noch… Im Anschluss wieder Havanna zu Fuß, zur Abwechslung mal die weniger prominenten Seitenstraßen. Im Treppenaufgang eines alten Hauses probt eine Salsa-Band mit ungefähr 95 Jahren Altersdurchschnitt. Wir sind neugierig, halten uns aber in respektvollem Abstand, um auch ja niemanden in seiner künstlerischen Entfaltung zu stören oder zu beeinträchtigen, geschweige denn ihn gar zu blenden mit unseren immer noch bleichen Gesichtern… “Hey, ihr da, kommt schon endlich rein! Was steht ihr da draußen in der Sonne, seid nicht dumm, ist doch nicht gesund, oder! Los, setzt euch ruhig da hin” kommt es aus dem Gebäude und wir tun ohne Widerrede, wie uns gesagt…

Mittwoch, 11.2.04

Heute: Videodreh für “Butterfly” mit der ganzen Band. Location (ja, so nennt man das in den Kreisen der Zelluloid-fressenden und Filmentwickler- und Rotwein-trinkenden Filmemacher): Eine alte, herunter gekommene Villa in Vedado, ein Stadtteil von Havana. Ok. Dann mal los! Zunächst erst mal verhaltene Begeisterung bei den Anwohnern (das Ding ist selbstverständlich bewohnt – hier steht absolut kein Haus leer, auch wenn man’s sich manchmal kaum mehr vorstellen kann), die nach und nach ins Freie kommen. Wie, was denn hier los sei und was die Weißbrote da wollen? Video? Für’s Fernsehen? Aha! Und meine Wohnung als Umkleide benutzen? Naja, wenn’s sein muß... na gut, für Geld geht das alles klar… macht 20 Dollar! Wir bezahlen. Und der Preis steigt stündlich! Ganz schön frech, die Jungs… Die Party geht allerdings erst richtig los, als eine große Flasche Havana-Gold Rum ins Spiel kommt – ihr erinnert euch an die Toffifee Werbung? Mit dem gelangweilten Pappi und den verzogenen Kindern und der fürsorglichen Super-Mutti mit der Schoko-Schore und am Ende drehen alle durch vor Begeisterung? So ungefähr! Für das Video brauchen wir Party-People, Tänzer und dergleichen. Alles kein Problem, Rum regelt das… Daß Rum, oder Alkohol generell, in Cuba übrigens nicht als Droge angesehen wird, merken wir daran, daß ohne irgendwelche Einwände auch zwölf-jährige (12 – in Worten ZWÖLF) die Flasche ansetzen und mehr als einen kräftigen Schluck nehmen. Das gleiche gilt übrigens auch für Zigaretten (na wer hätt’s nicht vermutet, wo es hier doch ohnehin schon dicke Havanas im Kindergarten zum Frühstück gibt…) Die Party kommt also in Gang und wir versuchen so konzentriert wie nur möglich zu arbeiten, nebenbei unser größtenteils geliehenes Equipment im Auge zu behalten und bei beidem eine coole Figur abzugeben, als immer klarer wird: das ist nicht irgend ein Haus, dessen Veranda und Garten wir gerade belagern. Zumindest ist das nicht wirklich eine ganz normale Mutter die krampfhaft versucht uns ihr Töchter (vielleicht 12 und 15) schmackhaft zu machen. Und zwar jedem von uns. JEEE-DEM! In allen Details… (Brrrrrr…) Und angesichts unserer totalen Verweigerung sich schließlich verzweifelt selbst mit anbietet. Und zwar ebenfalls mehr als eindeutig. Nein Danke, lass mal, wir müssen jetzt gehn… Und wir können auch morgen nicht nochmal kommen… Nein, nein! Die Dämmerung ist für uns der Gong im Boxring. Nichts wie weg hier!

Donnerstag, 12.2.04

Die nächste Attraktion: wir kommen ins cubanische Staats-Fernsehen. Oh Gott, nervöse Aufregung, duschen, kämmen, Zähne putzen, saubere Hemden anziehen… Und dann Playbacks lernen, denn wir werden nicht live spielen sondern eben zum Playback. Werner versagt dabei leider komplett. Genauso gut könnte man Richard Claydermann “Pour Adleine” spielend zur Musik von “Smoke On The Water” zeigen. Andererseits, hey, so what! Who cares?! Überhaupt ist das 70er Jahre Fersehstudio im Science-Fiction-Style ohnehin viel interessanter. Abenteuerliche Holzkonstruktionen, von viel künstlichem Nebel durchsetzt, mit reichlich bunten Scheinwerfern – das war unser großer Auftritt. Wie gerne würden wir den und das Interview hinterher sehen, klappt aber irgendwie nicht. Ob wir eine Kopie bekommen könnten weiß auch keiner so genau, nun ja, man müsse mal sehen, aber vielleicht auch wieder nicht, es sei eben nicht klar, auch nach fünf-maligem Nachhaken nicht… Ok, schon gut, wir haben’s kapiert…! Dann weiter zum nächsten Termin, wir sind ja schließlich nicht auf so nen Mini-Nervenkitzel angewiesen, wir leben den ganzen Tag auf der Adrenalin-Überholspur und ein Termin jagt da den nächsten: Auftritt im Casa de la Musica um 16 Uhr. Ok, wir sind da, das Casa de la Musica ist da – und: eine andere Band ist auch schon da. Aha… aber sollten nicht WIR… Nein…? Wirklich nicht? Na gut, wir geben uns geschlagen und genießen den Soundcheck und die Bühnenstreitigkeiten der anderen Band bei Hähnchen, Pommes und Coca-Cola. Touristen-Food eben. Aber das genügt uns noch nicht. Wir ziehen weiter und weiter, non-stop, on und on… Um 18 Uhr ist auf der Cabaña Soundcheck. Dort spielen wir heute nämlich auch noch, nach dem Sonntag schon zum zweiten mal. Und wie sich die Auftritte ähneln: der gleiche chaotische Soundcheck, das gleiche euphorische Publikum, das gleiche Zeitlimit und die gleiche Kanone… Und täglich grüßt das Fidel-Tier. Nur reißt Steve diesmal für zwei Sekunden der Geduldsfaden und ein Funktionär zieht beleidigt von dannen. Bringen tut’s allerdings auch nix. Nein, mit Traditionen dürfe man eben nicht brechen. Das wäre ungefähr genauso, als äße man in Bayern eine Weißwurscht nach 12 Uhr… Nein, nein, nein, die Kanone muß schießen. Basta und Bum!

Freitag, 13.2.04

Freitag, der dreizehnte! Das ist also der Tag, an dem die ersten von uns wieder abreisen müssen. Benny und Haiko. Wegen irgendwelcher Verpflichtungen in good ol’ “Yermanie”. An so einem Tag also in ein Flugzeug steigen – was soll man denn da denken…? Am besten gar nichts, die beiden kommen nämlich ohne irgenwelche Probleme oder Begegnungen mit schwarzen Katzen unter einer Leiter zu Hause an. Na zum Glück auch. Nur sind wir jetzt keine Band mehr, sondern nur noch Urlauber. Werni bekommt bei einem der Ober-Chef-Pianisten von Cuba Klavierunterricht und Marki dreht noch munter Szenen für’s Video. Und am Abend gibt’s Reis und Bohnen. Wie übrigens seit zehn Tagen schon. Fidel hat recht: Un mejor mundo es possible…!

Samstag, 14.2.04

Was bei uns schnöde Valentinstag heißt, trägt in Cuba den Namen “El Dia Del Amor” und nicht nur die blanke Aussprache dessen lässt einem Rosen aus dem Mund wachsen und in romantischen Wallungen schwelgen, nein, die Cubaner nehmen das auch durchaus wörtlich. Alles, was Beine hat, treibt sich am Abend auf den Straßen herum und reibt sich heftig aneinander. Havana im Ausnahmezustand. Aber natürlich immer mit Stil. Nicht so ne stumpfe Loveparade. El Dia Del Amor… Und ausgerechnet da vergisst Scratch-D, daß er ein Mensch ist und gerät prompt in Konflikt mit der Staatsgewalt… Aber mal der Reihe nach: Wir verbringen den Abend aus irgendwelchen Gründen am Malecón, der kilometerlangen Uferpromenade, wahrscheinlich wegen der Wellen, die an manchen Tagen spektakulär gegen die Mauern donnern und für kostenlose Duschen in Salzwasser sorgen. Wegen der Chicas vielleicht auch, wer weiß das noch so genau… Jedenfalls wird viel Bier getrunken, gequatscht, herum gelaufen und wieder getrunken. Und was wissen wir seit den ersten Alkohol-Exzessen in Pappis Partykeller? Wer trinkt muß auch wieder Wasser loswerden. Ne Stange abstellen, pillern, na ihr wisst schon. So auch Scratch, unser DJ. Aber er tut’s nicht irgendwo, sondern – und da macht sich doch deutlich der verherende Einfluss von Drogen auf unseren Willen und unsere Wahrnehmung bemerkbar – sondern einfach da, wo es ihm gerade einfällt. “Ich schiff denen jetz da hin” sagt er noch während wir weiter gehen und erst Sekunden später das drohende Unheil erkennen. Doch da ist es längst schon zu spät. Scratch hat sich “irgendeine” Steinsäule zur Orientierung aussgesucht, die aber in Wahrheit zu einer ganzen Reihe solcher Säulen gehört, die sich auf keinem geringeneren Platz als dem “Plaza de la Revolución” befinden. Seite an Seite stehen da Säulen mit angbrachten Namensplaketten, die von den Opfern und Märtyrern im cubanischen Befreiungskampf berichten und alles in allem macht dieses Arrangement doch einen höchst wichtigen, würdevollen und stolzen Eindruck. Und so sehen wir unseren DJ bereits von mehreren Ploizisten umringt als wir uns nach ihm umdrehen, um das schlimmste vielleicht gerade noch zu verhindern… Mierda! ER spricht kein Spanisch, DIE kein Englisch – Deutsch schon ganz und gar nicht. Also reden alle auf ihn ein und er duckt sich unter den Wortsalven, fuchtelt nur gelegntlich mit Händen und Füßen. Bis dann Vicente, unser Sound-Mann, geboren in Venezuela und somit “Native-Speaker”, endlich einschreitet und zu vermitteln versucht, während die Polizisten erst mal munter Verstärkung anfordern und weiter auf ihn einschimpfen. Warum er ausgerechnet hier pissen müsse, hier an diesem HEILIGEN Ort aller Cubaner, er hätte ja nun wirklich überall gekonnt, nur nicht hier, denn das sei nun wirklich ein ganz besonderer Platz nationaler Identität, die Plaza de la Revolución, der einzige Ort in Cuba, an dem man nichts tun sollte, außer still sein, still sein und ihn in stller Demut anschauen… Mal ganz unter uns: man macht so etwas auch nicht. Unmöglich ist das. Nein, nicht mal an einer abgewichsten Hauswand tut man so etwas, dazu noch als Tourist in einem Fremden Land! Das geht einfach ganz und gar nicht. Das war schon damals beim Pinkel-Prinzen in Hannover unter aller Sau… Anschuldigungen über Anschuldigungen und Entschuldigungen über Entschuldigungen, fast eine ganze Stunde vergeht und alles hilft nichts, der Täter muß mit! Mit auf’s Polizeirevier. Die anderen, also wir, könnten gehen. Wollen wir aber nicht, wir können unseren Mann doch nicht in “Feindesland” zurücklassen. So lassen wir uns beschreiben, wo das Revier sein soll, 52. Strasse, nicht weit von hier, 150 Meter vielleicht. Aha. Ok, Vicente fährt im Streifenwagen als Dolmetscher mit, Pyro und Werner laufen zu besagter Polizeistation, die allerdings ALLES ist, nur nicht das gesuchte Revier! Also fragen wir den Polizisten höflich nach der tatsächlichen Adresse… “ah, ihr seid die, mit dem Deutschen, der gegen unser Denkmal gepisst hat”. Ja, sind wir und wir schämen uns bitterlich… Vermutlich weiß schon die gesamte Polizei Havanas, die Streitkräfte und Fidel persönlich davon. Gut, der Polizist ist aber trotzdem so freundlich uns ein Taxi zu rufen, wir warten draußen, vor dem Gebäude, auf dem Gehsteig. Nicht lange allerdings, denn auf dem Gehsteig patroulieren Wachen, die was auch immer sichern sollen, vor wem auch immer (nebenan befindet sich die Amerikanische Botschaft und man will wohl einfach nur ein bißchen “representen”). Wir sollen hier nicht ‘rumlungern und gefälligst auf dem Grundstück der Polizeistation warten. Ok, machen wir – nur keinen Streit anfangen. Lange hält der Friede aber nicht, denn sofort erscheint einer der Polizisten und bittet uns auf dem Gehweg zu warten und nicht vor dem Revier herum zu hängen. Ähmmm…, bitte? Von da kommen wir doch gerade. Ja so sei das eben. Drinnen dürften wir uns zwar auch aufhalten aber dann sieht uns dann der Taxifahrer nicht. Also stehen wir schließlich genau auf der Grenze zwischen allem uns die Beine in den Bauch, bis klar wird: der Taxifahrer hat uns wohl längst vergessen. Inzwischen ist nämlich schon wieder eine Stunde vergangen und die Knochen werden müde. Was Scratch gerade macht, ob er schon in der Zelle sitzt und vor allem in was für einer Zelle? Einzelhaft oder “Los-heb-die-Seife-auf”-Style? Wir wissen’s nicht. Irgendwann dann die erlösende SMS von Vicente, Entwarnung, alles in Butter, wir treffen uns zu Hause… Na endlich! So’n Scheiß macht definitiv keinen Spaß und nachts um vier Uhr schon ganhz und gar nicht…

Sonntag, 15.2.04

Na toll, wir haben’s geschafft! Beziehungsweise NICHT geschafft: Heute sollte schön ans Meer gefahren werden, 100 Kilometer etwa, zu richtig schönen weißen Stränden mit Palmen und allem drum und dran. Und was tut ES? ES regent! AAAAARGHHHHHHH! Zwei Wochen in Cuba und keinen Strand gesehen… Das ist zuviel für uns – wo ist der RUM?!?

Montag, 16.2.04

O weh, Abschied! Schnell noch die letzten Deals machen, doch endlich mal Postkarten abschicken, noch mehr Rum kaufen, Zigarren auch ein paar und Koffer packen. Cuba will uns jetzt loshaben (die Aktion mit Scratch war wohl echt zu viel), denn das Wetter ist immer noch lausig. Alles grau, windig und nass. Ok, wir gehen ja schon. Noch mal kurze Aufregung beim Zoll, wegen irgendwelcher Dinge, die nicht einfach irgendwo hineingepackt werden können und schon sind wir in der Luft. Kaum zu glauben, daß schon wieder alles vorbei ist. Der augenblicklich aufkeimenden Depression können wir während des Fluges noch mit eineinhalb Flaschen Rum entgegen halten, aber spätestens beim Zwischenstop in Paris wird klar, was Sache ist, nämlich:

Dienstag, 17.2.04

und wir haben Februar und es ist fucking arschkalt in Europa – klar, die Sonne schien ja auch gerade zwei Wochen woanders und nicht hier, kein Wunder, daß hier alles wie an Allerheiligen und Allerseelen grau im Nebel hängt. Dennoch gibt es auch einen kleinen Lichtblick. Nach zwei Wochen intensiver Auseinandersetzung mit REIS UND BOHNEN locken auf dem Flughafen “Charle de Gaule”, Baguettes, Croissants und Fastfood aller Arten… Wir sind willige Opfaz und lassen uns ohne die leiseste Gegenwehr gefangen nehmen. Und wie wird erst das Bad zu Hause… De verdad, un mejor mundo es posible! Al menos, a veces…

Aufgezeichnet von Werner Goldbach