ak - Zeitung für linke Debatte und Praxis /
Nr. 481 / 20.02.2004
Der Fundus des Türk-Raps
Hip Hop als Sprachrohr einer migrantischen
Kultur
Als Hip Hop Mitte der achtziger Jahre nach Europa schwappte,
waren es zum größten Teil Jugendliche mit migrantischem
Hintergrund, die sich auf Hip Hop stürzten und die sich in dieser
Kultur frei entfalten konnten (vgl. ak 487). Vor allem in
Deutschland sahen viele ausländische Jugendliche die Chance, durch
Stimme, Musik, Tanz, Kunst und durch ihre Texte auf sich aufmerksam
zu machen: Waren sie gestern noch Menschen, die sowohl gegen die
Regeln des Elternhauses verstießen als auch durch das deutsche
gesellschaftliche Raster fielen, so waren sie nun Teil einer
Kultur, die nicht auf verhärteten Traditionen und religiösen
Unterschieden basierte. Das einzige, was hier zählte, waren
Kreativität und Fleiß.
Hip Hop:
Just do it!
Insbesondere türkische Jugendliche fanden im Hip
Hop ihre Erfüllung. In dieser Zeit waren sie es, die sich mit
jugoslawischen, italienischen, afrikanischen und vielen anderen
Jugendlichen dem Break-Dance, Graffiti, DJ-ing und eben dem Rap
hingaben. "Der Grund, weshalb wir uns für Hip Hop als Sprachrohr
entschieden haben, war der, dass es uns nichts gekostet hat", sagen
viele türkische Breaker, Rapper und Sprüher. "Wir saßen bis zu
unserem 18. Lebensjahr auf gepackten Koffern, da konnten wir nicht
sagen, dass wir eine Gitarre oder ein Klavier haben wollten, um
Musik zu machen. Das Geld war für etwas anderes bestimmt: Für die
Heimat." Hip Hop war anders. Die Kids konnten einfach anfangen,
Musik zu machen, ohne Instrumente zu kaufen, Noten lernen oder
teure Kurse besuchen zu müssen. Ihre Vorbilder waren in Filmen wie
Beatstreet oder Wildstyle zu bewundern. Einen
besonderen Abschluss brauchte man nicht, jeder und jede konnte ein
Teil dieser Kultur werden, egal mit welcher Bildung, Herkunft oder
Religion.
Der türkischsprachige Rap hat innerhalb dieser
paneuropäischen Entwicklung eine besondere Stellung erhalten. Keine
andere Rapart hat einen derartigen Fundus wie der türkische Rap.
Deutschsprachiger Rap kam aus Deutschland, der italienische Rap aus
Italien, die Franzosen rappten als erstes auf französisch, aber auf
türkisch wurde auf Grund der Migration nicht nur in der Türkei
gerappt, sondern in ganz Europa. Vor allem Türken in Deutschland
können als Vorreiter betrachtet werden. Der türkische Rap ist, wie
viele andere Rapformen, stark mit der europäischen Migrationskultur
verbunden und durch diese auch beeinflusst. Viele türkischsprachige
Texte handeln vom Leben zwischen zwei Kulturen, von der fehlenden
Akzeptanz in beiden Gesellschaften und den Problemen innerhalb der
eigenen Tradition. Die Jugendlichen rappten auf türkisch, um nicht
nur die deutsche Gesellschaft mit ihren Problemen, Wünschen und
Gefühlen zu konfrontieren, sondern um damit auch die eigenen
Eltern, Verwandte und Bekannte zu erreichen. Es war ein Schrei nach
Akzeptanz und Respekt in beiden Kulturen. Bands wie Fresh
Familee, Microphone Mafia, Islamic Force und
Cribb 199 waren die ersten, die auf türkisch ihre Message
verbreiteten.
Sprach man anfangs vom friedlichen Zusammenleben
und von Akzeptanz, so waren die Anschläge in Mölln und Solingen ein
bedeutender Wendepunkt auch für den türkischsprachigen Rap. Die
Texte wurden aggressiver und Themen wie Rache und Vergeltung traten
in den Vordergrund. Ein neues Selbstwertgefühl baute sich bei den
Jugendlichen auf: "Wir sind Türken und wenn ihr uns nicht wollt,
dann wollen wir euch auch nicht." Aber sowohl in der Türkei als
auch in Deutschland wurden die Rapper zunächst eher als Außenseiter
belächelt. Dies sollte sich Mitte der neunziger Jahre ändern. Der
Zusammenschluss Cartel, bestehend aus Erci E aus
Berlin, Karakan aus Nürnberg und Da Crime
Possee aus Bremerhaven schaffte den Durchbruch für den
türkischsprachigen Rap in der Türkei und in ganz Europa. In ihrer
Heimat verdrängten sie Michael Jackson von Platz 1 der Charts.
Weil Cartel in ihren Texten immer wieder
auf die Türkei als Heimat und auf ihre türkische Identität
aufmerksam machte, wurde ihnen gegenüber der Vorwurf erhoben, sie
seien mindestens nationalistisch, manche meinten sogar
faschistisch. In der Türkei selbst versuchten rechte Parteien (die
grauen Wölfe "Bozkurt"), die Band für ihre Zwecke zu benutzen. Doch
Cartel distanzierte sich von diesen Versuchen ebenso, wie
von dem Vorwurf des Nationalismus, in dem sie in ihren Texten klar
machten, dass es nicht darum geht, die türkische Nationalität über
andere zu stellen.
Netzwerke
des Oriental-Raps
Ihnen war es wichtig, den Jugendlichen eine
Orientierungshilfe zu geben: "Ihr seid Türken, gehört aber nach
Deutschland". Cartel wurde sowohl von Linken als auch von
Rechten für ihre Propaganda missbraucht. Ihre Texte gaben vielen
Jugendlichen eine Orientierung bei der Suche nach Antworten auf die
Frage: wer sie sind und wohin sie gehören. Cartel füllte
Stadien und wurde von den Medien gefeiert. Sie waren die Helden der
Rapper in der Türkei, die ersten, die den "Kampf" gegen den Pop
gewonnen hatten. Seitdem wurde der türkischsprachige Rap nicht nur
in der Türkei immer populärer.
Heute gibt es in der Türkei Künstler wie
Nefret, OndaOn, Ceza, Maho B, Hedef
12 und viele mehr, die in ihren Texten auf soziale
Ungerechtigkeiten und Missstände hinweisen und den Hip Hop immer
beliebter machen. Sie touren durch Europa und arbeiten mit Bands
aus Deutschland, Frankreich, der Schweiz usw. zusammen. Es hat sich
ein Netzwerk entwickelt, in dem Konzerte und Jams organisiert und
Alben produziert werden. Egal, wie man es nennt, ob Türk-Rap oder
Oriental-Rap, der türkischsprachige Hip Hop ist inzwischen bei
Jugendlichen in ganz Europa verankert.
Kutlu Yurtseven
www.microphone-mafia.de
www.aldenterecordz.de
www.suikast.de