Hommage als Entpolitisierung?
Über das Album „rio reiser familienalbum – eine hommage"
Vor kurzem erschien das Album „rio reiser familienalbum – eine hommage“. Zahlreiche deutschsprachige MusikerInnen covern darauf Songs von Ton Steine Scherben und Rio Reiser. Nach dem Rio-Reiser-Songwettbewerb 2003 und der Neuveröffentlichung des ersten Songsbooks von Ton Stein Scherben ist das der dritte bemerkenswerte Event im letzten Jahr, der deutlich macht, dass die Auseinandersetzung und Bewertung des Schaffens von Rio Reiser noch lange nicht abgeschlossen wird.

Im letzten Jahr organisierte der Rio-Reiser-Verein zum zweiten Mal den Rio-Reiser-Songwettbewerb, gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Verein Deutsche Sprache (VDS). Spätestens seit diesem Songwettbewerb ist eine öffentliche Kontroverse um das Erbe von Rio Reiser und den Scherben entbrannt. Wolfgang Seidel, der erste Scherben-Drummer meldete sich in zahlreichen Zeitungen (junge welt, jungle world, rolling stone) zu Wort, kritisierte die Entpolitisierung der Scherben und warf den Verantwortlichen im Rio-Reiser-Verein „deutschtümelei“ vor. Gemeint war damit vor allem die Zusammenarbeit mit dem VDS. Ein Vorwurf, den Seidel auch gegen das „Familienalbum“ erhebt. (Wissen sollte man dabei, dass der Rio-Reiser-Verein mit der Veröffentlichung dieser CD nichts zu tun hat.)

Die Auswahl der dort vertretenen KünstlerInnen hat Wolfgang Michels gemeinsam mit dem Produzenten Franz Plasa vorgenommen. Michels arbeitete in den 80er Jahren mit Rio Reiser zusammen und beide haben einige Songs gemeinsam getextet und komponiert. In der Tat enthält das Album eine recht bunte Mischung: Herausragend ist sicherlich das von den Söhnen Mannheims neu eingespielte „Mein Name ist Mensch“. Angesichts der weiterhin regen neonazistischen Aktivitäten und eines eher wachsenden Rassismus und der überaus großartigen musikalischen Neubearbeitung, für die vor allem Xavier Naidoo verantwortlich zeichnet, mehr als aktuell. Außerdem dabei sind u.a. die eher lauen Sterne (Wenn die Nacht am tiefsten), Fettes Brot (Ich bin müde), die derzeit allgegenwärtige Nena (Schritt für Schritt ins Paradies), Wir sind Helden (Halt dich an deiner Liebe fest), Fehlfarben (Nicht noch mal), Ferris MC (König von Deutschland) und – natürlich - Marianne Rosenberg (Für immer und dich). Ärgerlich ist vor allem auch – da ist Seidel zuzustimmen - dass ausgerechnet Joachim Witt beteiligt wurde (Wo sind wir jetzt).

Diesen Kreis der Entpolitisierung der Scherbensongs zu beschuldigen, ist allerdings eher albern. Die meisten dieser KünstlerInnen sind einfach noch zu jung, haben die Scherben vermutlich nie live erleben können und kennen die 70er Jahre bestenfalls aus dem Geschichtsunterricht. Für sie dürften die Scherben einerseits Legende und Rio Reiser ein zeitkritischer, vor allem aber musikalisch und emotional herausragenden Künstler gewesen sein.

Seidel selbst ist vor allem dem politischen Bild der Scherben in der Frühphase in Berlin verhaftet, wenn er in der jungle world vom Scherben-Musikverständnis spricht, dass „Musik … zur gemeinsamen Waffe werden kann“. Er übersieht einfach, dass die Scherben sich spätestens mit dem Umzug nach Fresenhagen Mitte der 70er Jahre auch politisch gravierend veränderten. Man braucht ja nur die Platten dieser Zeit aufzulegen: Von den Klassenkampf-Parolen-Songs der frühen 70er Jahre ist schon Mitte der 70er so nichts mehr zu hören (Wenn die Nacht am tiefsten…). Und – wenn man so will – hat Rio Reiser selbst im Rahmen seiner Solokarriere ab 1985 mit dem König von Deutschland und Alles Lüge und dem Plattendeal mit Sony die Entpolitisierung eingeleitet (Allerdings blieb er immer politisch, siehe ausführlich ak 437). Das sollte man nicht übersehen und erwähnt sein muß auch, das Seidel die Scherben bereits nach dem ersten Album verließ.

Auch wenn man Seidel also stark relativieren sollte. Bezogen auf den Rio-Reiser-Verein kann man getrost darüber sprechen, dass er nicht gerade bemüht ist, die politische Seite eines Rio Reisers und der Scherben zu betonen. Dafür muß man nicht unbedingt auf die Zusammenarbeit mit dem VDS abheben. Wenn man z.B. nach den zahlreichen Nazi-Übergriffen im Jahr 2001 den ersten Rio-Reiser-Songwettbewerb ausgerechnet unter das Motto „Heimat“ stellt, dann ist das zumindest verwunderlich. Und wenn in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Entsolidarisierung das Motto für den Wettbewerb 2003 mit dem Titel „Ich will ich sein“ festlegt, lässt sich auch das durchaus heftig kritisieren.

Die Kritik – zumindest was die Zusammenarbeit mit dem VDS angeht, ist beim Verein jedenfalls angekommen. Kurz vor Redaktionsschluß dieser Ausgabe tagte der Verein in Fresenhagen zur Mitgliederversammlung und hatte vor allem diese Zusammenarbeit auf der Agenda. Man darf gespannt sein, wie sich der Verein zu den Vorwürfen stellen wird.

Von diesen Dingen abgesehen: Das „Familienalbum“ muß man zwar nicht unbedingt im Plattenschrank haben, aber die Remakes der Scherben- und Reiser-Songs sind bei den meisten auf der CD vertretenen KünstlerInnen durchaus hörenswert. Selbst bei dem von den Sternen recht öde verarbeiteten Scherben-Song Wenn die Nach am tiefsten hört man noch die Stärke eines Rio Reisers heraus. Und – man mags ja gar nicht sagen: Nenas Fassung von Schritt für Schritt ins Paradies ist schon echt klasse.

DSe, www.rock-links.de

rio reiser familienalbum – eine hommage, www.edel.de