DER SCHWERE DUFT VON ANARCHIE
Rocko Schamonis neue CD auf Virgin

Rocko Schamonis Wohnung ist 180 Quadratmeter groß, die Räume sind vier Meter hoch und aus der riesigen Fensterfront blicken Gäste auf einen der schönsten Fleete der Hamburger Innenstadt. Viele seiner Freunde beneiden Schamoni um diese Wohnung. Er selbst findet es ganz normal, so zu wohnen. Sein Musikstudio hat Schamoni im Schlafzimmer untergebracht. In eine Ecke baute er ein Doppelbett für sich und seine Freundin Dorle mit sehr hohen Stelzen. So hoch, dass die beiden beim Aufwachen immer wieder mit den Köpfen an die Decke stießen. Unterm Bett - das ist eine Idee von Schamoni - befindet sich das Schlagzeug. In der gegenüberliegenden Ecke stehen die anderen Instrumente: Lap-top, andere Computer, Synthesizer, Plattensammlung, Gitarre, Orgel und jede Menge Bild-schirme. Hier hat Schamoni auch "Der Schwere Duft von Anarchhie" aufgenommen.

Seit beinahe 20 Jahren ist er jetzt schon im Showgeschäft und der Titel seines neuen Werkes sagt es schon: Es ist wieder mal die Zeit gekommen, um darüber nachzudenken, was dieses Leben eigentlich gebracht hat. Wo steht dieser Mann? Schamoni erfüllt sich mit dem vielen Geld der Virgin auch einen alten Traum: Er kann seine besten Kompositionen im großen Stil instrumentieren. Er kann sich jetzt echte Bläser und Streicher leisten um tatsäch-lich so zu klingen wie Frank Sinatra - wenn man von der Stimme mal absieht. Viele, die Schamoni kennen, die seine Musik lieben, die über seine Gags lachen, die seinen Tanzstil nachahmen, die seinen Goldzahn ablecken wollen, können nicht verstehen, warum dieser Kerl nie ein Superstar geworden ist. Die Fähigkeiten eines großen Entertainers hat er jedenfalls, das war neulich erst wieder im Fernsehen zu sehen. Die Toten Hosen hatten Schamoni als Stargast ihrer Sendung auf Viva eingeladen. Schamoni sah besser aus als Campino, sagte die klügeren Sachen, machte die besseren Witze. Spätestens als das Video von Schamonis brillantem Liebeslied "Der Mond" (in einer frischen Version auch auf der neuen Platte) gespielt wurde, wunderten sich alle, dass der Punk aus Düsseldorf der Millionär ist und nicht Schamoni. Warum also hat Schamoni weniger Geld als seine alten Weggefährten aus den Achzigern wie "Die Ärzte", Helge Schneider, "Tote Hosen", obwohl er mehr Talent hat als sie? Die schlichte Antwort: Er hatte keine Lust, reich zu werden. Um vie-le Platten zu verkaufen, hätte er sich entscheiden müssen für Eindeutigkeit. Entweder Humor oder Sentimentalität, politischer Zorn oder Ironie, Erotik oder Sachlichkeit. Doch Schamoni will all dies gleichzeitig. Er will mit seiner Kunst sämtliche Gefühle ausdrücken, die seine sensible Außenhaut empfinden kann. Und das sind nun mal sehr, sehr viele.

Dieses Durcheinander der Stile und der Inhalte macht die besondere Qualität in Schamonis Musik aus. Aber unter kommerziellen Gesichtspunkten bringt das natürlich überhaupt nichts. Viele Menschen sind überfordert, sie winken ab, kaufen lieber eine CD von BroSis oder den Toten Hosen.

Um das Wesen Schamonis und seine Kunst zu verstehen, muss man ein paar Geschichten aus seiner Kindheit kennen. Mit zwölf Jahren war Rocko Schamoni, Jahrgang 1966, einer der ersten Punks in Lütjenburg und die verlogene Bürgerlichkeit in dem Ostseedorf kotzte ihn an. Dennoch gefielen ihm die hübschen Töchter der wohlhabenden Familien sehr. Rocko zertrampelte die Beete der Nachbarn und rupfte die Blumen aus dem Boden - um sie den knackigen Girls auf dem Schulhof zu schenken. Später tätowierte er sich dann mit einer Stricknadel das Wort "Punk" auf die Wade, ging nach Hamburg in die Hausbesetzerszene, weil dort der Wohnraum am billigsten war und machte sich viele Freunde mit seinem unverbrauchten Charme.

Die imperialen, reaktionären Mächte zu zerstören, und dabei stets zärtlich und einfühlsam zu agieren, war immer schon Schamonis Auftrag an sich selbst. Die Philosophie vom liebenden Protest ist in seinem gesamten Werk zu erkennen. Vom Debut "Liebe kann man sich nicht kaufen" über den Roman "Risiko des Ruhms" bis zur aktuellen LP.

Die erste Single-Auskopplung von "Rocko Schamoni" heißt "Geld ist eine Droge" und damit variiert Schamoni eines seiner zentralen Themen: Die Gier nach Geld in der Gesellschaft, die dazu führt, dass einige sehr reich werden und viele arm bleiben. Keine Hitgarantie hat auch "Berlin Woman", ein älterer Song, den Schamoni mit Hilfe von Carsten "Erobique" Mey-er auf eine elegant übertriebene Art neu aufnahm. Klingt jetzt wie ein Duett von Harald Juhn-ke und Manfred Krug. Und natürlich spielt auch die Sexualität wieder eine große Rolle. In drei Hörspielen erleben exotische Frauen sexuelle Abenteuer.

Wer nach 20 Jahren in diesem Geschäft eine CD aufnimmt, die klingt wie "Der Schwere Duft Von Anarchie", der muss ein ziemlich guter Musiker sein.

Diskografie

1987 "Liebe kann man sich nicht kaufen" 7" Weser Label vergriffen

1988 "Vision" LP Weser Label vergriffen

1989 "Jeans und Elektronik" CD,LP, MC Polydor Progressive vergriffen

1990 "Disco" CD, LP, MCPolydor Progressive vergriffen

1991 VA: "Operation Pudel 2000" Pudel Produkte/EfA

1992 "Ex Leben" Motion Wsfa/Indigo

1995 "Galerie Tolerance" CD/LP Trinkont/Indigo

1997 Fernsehdreiteiler "Pudel Overnight" (3sat)

"die frühen Werke des Monsieur 70 Volt" "Liebe kann man sich nicht kaufen" und "Vision" auf CD, Weser Label

1998 Musik am Hamburger Schauspielhaus für Elfriede Jelinekcks "Sportstück"

1999 "Showtime" Do CD Trikont und Remixe 12" PP Sales Force

2002 "Der Schwere Duft Von Anarchie" Virgin

und ausserdem das Buch "Risiko des Ruhms" Rowohlt und CD "the Connection Point" Firehorse/PP sales Forces und zwischen den Jahren nat. div. Singles, Maxis, Videos, Remixe, TV Auftritte und Tourneen.

Bibliografie

2000 "Risiko des Ruhms", Rowohlt Verlag

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