Realsatirevon Rainer Trampert
Die Originalzitate von Umweltminister Trittin sind
hier in grau
wiedergegeben.
Minister Trittin hatte versprochen, möglichst
schnell aus der Atomwirtschaft auszusteigen: "Der Ausstieg muß noch in
dieser Legislaturperiode beginnen."
Dann kamen die langen Winterabende und kurz vor
Weihnachten sagte er, er würde sich "mit einem Ausstieg binnen 20 Jahren zufrieden geben."
Der Kanzler, der das nicht hören mochte, wünschte
sich "mehr Fischer und
weniger Trittin."
Da versank Minister Trittin in tiefe
Nachdenklichkeit und fand die Lösung: Keine Anlage "soll länger als 25 Jahre
laufen."
Als er merkte, daß der Kanzler noch immer
unzufrieden war, erhöhte er schnell, als säße er in einer Skatrunde,
auf "28".
Nun drohte die Industrie mit dem Ausstieg aus dem
Bündnis für Arbeit. Der Minister kam wieder ins Grübeln und erkannte
bald: "30 Jahre - 30
Jahre gehen auch ohne Konsens. Dabei gehen wir keinerlei rechtliches
Risiko ein."
Das war's, dachte er, und schlug beim Frühstück
beiläufig das Hamburger Abendblatt auf. da stand, er sei noch immer
"der einsame Reiter und
der sarkastische Asket." Der Schreck fuhr ihm derart in
die Glieder, daß er seinen "grünen" Delegierten so laut er konnte
zurief: "32 Jahre sind
ein gutes Ergebnis."
Der Parteitag spendete tosenden Applaus und viele
"Grüne" mit Rang und Namen fielen ihm vor Dankbarkeit um den Hals.
Sie mochten auch nicht aufhören, ihn zu herzen, als er hinzufügte,
daß 32 Jahre durchaus keine 32 Jahre seien. "Die Unternehmen können teure
Nachrüstungen sparen, wenn diese sich für ein Kraftwerk nicht mehr
lohnen und stattdessen Laufzeit und Strommenge auf ein anderes
übertragen", das in diesem Falle natürlich viel länger in
Betrieb sein dürfe als 32 Jahre. Vielleicht auch 40 Jahre. Wieder
spendeten die "Grünen" ihm tosenden Applaus, weil sie nun endlich
das Wesen der Realpolitik verstanden hatten: Man kann nicht alles
haben. Wer einen Atomausstieg will, der darf nicht zusätzlich noch
verlangen, daß ausgestiegen wird. Mit diesem Schachzug, verkündete
er landauf landab, sei es ihm gelungen, "die Blockade der Industrie zu brechen."
Die Industrie hatte sich tatsächlich bereit
erklärt, in einem "Atom-Konsens"-Papier den Satz zu unterschreiben:
"Wir akzeptieren den
Primat der Politik."
Sich der ganzen Tragweite des historischen
Augenblicks bewußt, sagte der Minister: "Aber natürlich birgt der Satz, den die
Energieversorger unterschrieben haben - 'wir akzeptieren den Primat
der Politik' - eine tiefe Wahrheit." Die Wahrheit lag
wirklich tief. Die Atomanlagen durften nun solange laufen, wie sie
es selber nicht aushalten, und dafür hatte die Industrie sich
breitschlagen lassen, den Parlamentarismus zu akzeptieren. Der
Minister betrachtete sein Werk mit Wohlgefallen und plauderte über
seine wahre Mission: "Ich
hatte tatsächlich alle Hände voll zu tun mit dem
Atomkonsens(und nun) erwarte ich ein Abflauen der Proteste von
Atomkraftgegnern."
Und während er in Zufriedenheit schwelgte, fragte
ihn ein Journalist, ob denn bis zur nächsten Bundestagswahl
wenigstens ein AKW abgeschaltet werde. Ein typischer Rückfall in den
Fundamentalismus, dachte der Minister und bot sein ganzes
dialektisches Repertoire auf:"Ich sage, wenn man zwei Kraftwerke ein halbes Jahr
früher stilllegt, 17 weitere aber drei Jahre länger laufen, dann ist
dieser Preis die Symbolik nicht wert." Seine Dialektik war
so tiefgründig, daß keiner mehr zu fragen wagte, warum denn 17
Anlagen drei Jahre länger laufen, wenn man zwei Anlagen ein halbes
Jahr früher stilllegt. Nur Rudolf Scharping hatte sofort begriffen.
Er würde in künftigen Kriegen nicht mehr Bilder hochhalten müssen,
auf denen nichts zu erkennen war, sondern einfach sagen: Wenn man
einen Krieg ein halbes Jahr früher beendet, dann laufen 17 andere
Kriege drei Jahre länger und wer will das schon. - Als der
Journalist nachfragte, ob denn nun oder ob nicht, wurde der Minister
wütend. "Es soll
keiner glauben, mit der Abschaltung einer Anlage (...) würde der Ausstieg
unumkehrbar." Jede abgeschaltete Anlage "wäre schnell wieder
betriebsbereit."
Seine Dialektik wurde immer feiner. Was konnte er
gemeint haben ? Wenn ein Ausstieg mit der Abschaltung einer Anlage
umkehrbar ist, wäre dann ein Ausstieg ohne jede Abschaltung von
Anlagen unumkehrbar ? Oder wollte er sagen: Die Abschaltung von
Anlagen lohnt schon deshalb nicht, weil sie ja wieder angeschaltet
werden können. Vielleicht hatte der Minister auch nur subtil auf
sein Prinzip aufmerksam machen wollen, nach dem er bisher immer
gehandelt hatte: Auf jeden Ausstieg folgt ein Einstieg. Das war bei
der Altauto-Verordnung genauso wie mit der Sommersmog-Novelle, wo er
sich den Scherz erlaubt hatte, zunächst eine Novelle vorzulegen, in
der es bei hohen Ozonwerten ein Tempolimit und das Verbot von
Malerarbeiten und Rasenmähen geben sollte. Dann hatte er sie
zurückgenommen und eine neue Novelle vorgelegt, in der es nun jedem
erlaubt wurde, so schnell zu fahren und so oft Rasen zu mähen wie er
lustig ist. Dazu hatte er lapidar erklärt: "Kurzfristige Maßnahmen
brächten wenig, besser ist es, langfristig die
Ozonvorläufersubstanzen zu bekämpfen."
Wieder diese rätselhafte Dialektik. Ein Tempolimit
würde die Ozonvorläufersubstanzen zwar bekämpfen, hatte er
herausgefunden, weshalb der Verzicht auf ein Tempolimit langfristig
die Ozonvorläufersubstanzen besser bekämpfen würde, oder so. - Er
hatte den Journalisten ganz vergessen, der hartnäckig wissen wollte,
ob denn nun oder ob nicht. Also, passen Sie mal auf, sagte der
Minister: "Derzeit sind 9
von 19 Meilern an der Grenze der Wirtschaftlichkeit. Wenn der Rauch
verflogen ist, werden die Kaufleute der Konzerne kühl kalkulieren
und handeln." Damit hatte er eine noch tiefere Wahrheit
angesprochen als vor ihm die Energiewirtschaft. Wenn jemand
aussteigen würde, war es die Industrie selber. Mit ihm hatte das
Ganze gar nichts zu tun. Daß er trotzdem wichtig war, erfuhr er dann
von Bärbel Höhn, die erkannt hatte: "Strahlenden Müll kann man nicht einfach auf der
Straße herumliegen lassen."
Der Minister pflichtete ihr bei und handelte. "Wir haben fünf innerdeutsche
Transportgenehmigungen erteilt," sagte er, und der Müll aus
Frankreich und England werde noch dazu kommen. "Jeder weiß, wo die Abfälle
herkommen: aus Deutschland; und jeder weiß auch, wo sie hinkommen:
nach Gorleben." Einmal in Fahrt gekommen, forderte er die
niedersächsische Regierung auf, "sich mit ihrer Ablehnung von
CASTOR-Transporten(...) nicht zu weit aus dem Fenster zu hängen." Am
nächsten Tag warf er beim Frühstück einen Blick in die Frankfurter
Rundschau und war entsetzt über das, was er zu lesen bekam: "Noch bevor auch nur ein
einziges AKW vom Netz gegangen ist, werden die rollenden Castoren
den Lüchow-Dannenbergern zeigen, was ein Atomausstieg im Zeichen der
Realpolitik bedeutet. (...)Denn ausgerechnet der rot-grüne Atomkonsens wird es
der Region Gorleben nun abverlangen, die Rolle als Atomklo der
Nation zu akzeptieren."
Begreifen die denn gar nichts, dachte der Minister
und wühlte nervös in seiner dialektischen Trickkiste herum, bis er
die Lösung gefunden hatte: "Zum Atomausstieg gehört nicht nur, daß Transporte
vermieden werden, sondern auch, daß sich nicht alle vermeiden
lassen." Scharping horchte wieder auf. Zum Frieden gehört
nicht nur, daß Kriege vermieden werden, sondern auch, daß Kriege
sich nicht vermeiden lassen. Das ist gut, dachte er, das ist
wirklich gut.
Beseelt von seinem Auftrag, den Atom-Müll zu
verteilen, eilte der Minister zur Polizei-Führungsakademie und lobte
die versammelten Polizisten "für ihre Ruhe und Besonnenheit" und scherzhaft
"auch für ihre sportive
Leistung." Er rief die Polizisten auf zu einer "fairen Streitkultur mit den
Atomkraftgegenern." Aber der Inspekteur des
Bundesgrenzschutzes war skeptisch:"Die Botschaft (...) habe ich wohl gern gehört.
Allein, den Polizisten fehlt der Glaube. Am Ende geraten wir doch
wieder zwischen die Steine. Was sollen wir denn nach Ihrer Meinung
mit denen machen, die sich nicht an faire Spielregeln halten
?" Dem Minister hatte es schon lange gedämmert, daß beides
nun mal nicht zusammen geht. Man kann nicht die Verantwortung für
die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, ihre Techniken, ihre
Wertvermehrung, ihre Eroberungsgelüste, für ihre Ordnung und ihre
Polizeiapparate übernehmen und gleichzeitig dagegen sein. Also
antwortete er: "Die
Polizei soll Recht und Gesetz gegenüber jenen durchsetzen, die bei
ihrem Protest gegen die Castor-Transporte die von dem Grundgesetz
gezogenen Grenzen überschreiten."
Soweit war er mit sich zufrieden - nur eines wurmte
ihn: "Warum fragt mich
keiner zur Rotbauchunke ?"
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