Nicht nur - aber auch - im Leipziger Conne Island wird die Debatte um Pop und Nation intensiv geführt. Im folgenden gibt es einen Text von den Betreibern des Conne Island, der die Absage für ein Konzert von MIA begründet - wegen deutschtümelei.

Wegen Verharmlsoung des Nationalsozialismus und Anti-Amerikanismus ist ein Konzert von Rubberslime abgesagt worden. Bereits vorher sagten FINK ein Konzert im Conne Island ab, nachdem die Betreiber eine Stellungnahme zum "Bagdad Blues" verlangten und dabei Anti-Amerikanismus unterstellten. In dem Text "Antiamerikanismus und Popkultur in Deutschland" liefert die Antiamerikanismus AG im Conne Island ihre Begründung

Eine Kritik zu diesen Ereignissen gibt es hier: Nation und Pop - Konzertverbote im Leipziger Conne Island häufen sich
Die Erwiderung des Conne Island bringen wir in den nächsten Tagen. Nachzulesen ist sie in ak-analyse+kritik Nr. 481

Nicht mehr fremd im eigenen Land

Der Nationalisierungsdiskurs der deutschen Popkultur hat die Ebene der reinen Standortlogik verlassen und setzt stattdessen unverhohlen auf eine trendy Geschichtsbewältigung. Ein Beitrag der betreiberinnen des conne island leipzig

Es gibt Dinge, die sollte manch KünstlerIn lieber für sich behalten. Zum Beispiel die eigenen Gedanken und liebevoll-naiv zur Schau gestellten Ideen zur Lage der Nation.

Denn zumeist fährt die Antwort auf diese Frage gegen den Baum, sie avanciert, wie es der Autor und Publizist Feridun Zaimoglu trefflich in einer Stellungnahme zum Thema der Berliner Band Mia in »Polylux« formulierte, zum »grenzdebilen Blödsinn«. Mia versuchte sich Anfang Oktober mit ihrer Single-Veröffentlichung »Was es ist« nicht nur an Reminiszenzen an den Dichter Erich Fried, sondern verfasste in erster Linie ein euphorisches Liebeslied an die deutsche Nation: »Fragt man mich jetzt, woher ich komme/ tue ich mir nicht mehr selber Leid (…) wohin es geht, dass woll’n wir wissen/ und betreten neues deutsches Land.« Eigentlich, so sollte man denken, könnte dieser Tatbestand für einen Eklat gut sein, doch der blieb vorerst, um des popkulturellen Friedens willen, aus. Skandalisiert wurde die Geschichte gerade mal von der Süddeutschen Zeitung, die verstört konstatierte, dass in Sachen Pop »die vaterlandslosen Zeiten nun vorbei zu sein scheinen«, und dabei an die guten alten Zeiten erinnerte, als »Slime noch brüllte: ›Deutschland muss sterben, damit wir leben können.‹«

Die Frage nach der nationalen Identität in kultureller Verpackung scheint wieder en vogue zu sein, das »kollektive Wir« erfährt seine Renaissance nun auch im (Pop-) Kulturbereich: In dem Film »Das Wunder von Bern« lernen wir, dass auch heimkehrende Wehrmachtssoldaten weinen dürfen, die Hochglanz-Lifestyle-Gazette Deutsch kokettiert angriffslustig mit ihrem Titel und die Künstlerkampagne »Angefangen« aus dem Umfeld des Berliner Labels R.O.T., auf dem auch Mia zuhause ist, fordert in schwarz-rot-goldenen Schrifttypen Toleranz und Respekt als neue deutsche Tugenden. »Durch die Neubelebung der Farben soll eben auch das Verhältnis zur eigenen Identität entkrampft werden«, beschrieb das Lifestyle-Magazin Blond gleichsam die Intention Mias. Grund genug für das Conne Island, dem neuen Lifestyle-Deutschland mal wieder eins mitzugeben.

Wo ist zu Hause, Mama?

Die Versuche, die hiesige Poplandschaft mit der Pose des Nationalen auszustatten, sind nicht neu. Sie folgten bisher in der Regel einer codierten Standortdiskussion, die via nationalökonomischer Argumente an der Popkulturnation Deutschland bastelte – Musik aus Deutschland galt lange Zeit als echte Marktlücke. Anfang der neunziger Jahre waren es beispielsweise der Gründer des Labels, Michael Reinboth, der mit der Compilation »Krauts with Attitude« mal flugs in Anlehnung an die US-amerikanische HipHop-Combo NWA (niggaz with attitude) mit deutschsprachiger Reimkultur das Genre »Deutsch-Rap« aus der Taufe hob. Oder der Sampler »Wo ist zu Hause, Mama«, der vom Musikjournalisten Karl Bruckmaier für das linke Label Trikont zusammengestellt wurde und auf dem die deutsche Sprache als das politisch und musikalisch verbindende Element angesehen wurde. Beide Projekte waren von Anfang an einer vehementen Kritik von (Pop-) Links ausgesetzt. Als der Liedermacher Heinz Rudolf Kunze 1996 auch im Namen von Dieter Thomas Heck und der rechtsintellektuellen Zeitung Junge Freiheit vom »Genozid an der deutschen Rockmusik« faselte und eine 60/40-Quotierung zugunsten deutschsprachiger Titel forderte, war die Entrüstung noch groß.

Die damals von Kunze als qualitativ hochwertige Perlen deutscher Popmusik herausgestellten Blumfeld, Die Sterne und Goldenen Zitronen versetzten dem – so bezeichneten die Zitronen Kunze – »Elendserlöser via Quote« zumindest einen verbalen Arschtritt. Im selben Jahr verweigerten die Hamburger Schüler von Tocotronic die Annahme des Viva-Comet-Preises in der Kategorie »jung, deutsch und auf dem Weg nach oben«.

Unschärfer wurde die Kritik bereits zum Leipziger Festival »Neue Beiträge zur deutschen Popkultur«, das 2000 stattfand und aus dem später die jährlich stattfindende Popmesse Pop-Up hervorging. Wenige MacherInnen und KünstlerInnen konnten damals nachvollziehen, wieso das Conne Island gegen den Fehlgriff in der Titelwahl auf die Barrikaden ging. Im damals von uns publizierten Papier »Geschissen auf Deutschland – Pop ist universell, nicht national« stellten wir dezidiert klar, dass wir einer nationalen Definitionsmacht des Pop einen universalistischen Popbegriff entgegensetzen, und warnten so vor einer Frontstellung gegen eine »angloamerikanische Kulturinvasion«. Dass sich die bereits damals geäußerten Befürchtungen, was die antiamerikanischen Ressentiments betrifft, im Frühjahr 2003 anlässlich des Irakkrieges zu bestätigen schienen, war vorhersehbar. Oft genug wurden wir Zeuge, wie deutsche Hardcorebands urplötzlich den Rassismus in den Vereinigten Staaten anprangerten, anstatt sich mit dem Blut-und-Boden-Staatsbürgerrecht im eigenen Land zu beschäftigen; wir erlebten, wie deutsche HipHopper mutig ihren Stinkefinger in Richtung Weißes Haus reckten, anstatt gegen die auf Ordnung und Sauberkeit basierende Repression gegen sie hierzulande den nächsten Song anzustimmen. Selbst die vermeintliche Pop-Intelligenzia aus Hamburg – davon zeugt beispielsweise der Griff in die Mottenkiste des Antiamerikanismus der von uns durchaus geschätzten Country-Band Fink auf einer Single zusammen mit Peter Lohmeyer – wurde eher selbst zum Problem, anstelle zur Lösung der ganzen Misere beizutragen.

Mamma Mia

Der Versuch einer nationalen Beantwortung der Frage nach der eigenen popkulturellen Identität – also der Frage nach dem »Zuhause« – ist somit keine neue Geschichte. In regelmäßigen Zyklen wird sie gestellt und regelmäßig wurde sie – zumindest bisher – auch abgeschmettert. Trat sie bislang in fast jedem Fall zusammen mit einer Argumentation gegen den amerikanischen »Kulturmüll« auf, so zeichnet sich heute eine neue Strategie ab: Das Vehikel der angeblichen amerikanischen Kulturlosigkeit scheint nicht mehr benötigt zu werden, denn eine german offense ist angesagt, die die abgewandelte – weil nun nationale – Message des radical chic besser zu vermitteln scheint.

Der popkulturelle Aussetzer der Elektropunk-Band Mia ist kein Einzelfall und steht gewissermaßen exemplarisch für eine stete Entwicklung, die sich mittlerweile leider auch dadurch kennzeichnet, dass die Kritikerinnen und Kritiker von einst über so viel Blödheit im tiefen Tal der Verzweiflung verschwunden sind. Konnte man sich vor Jahren, dank der schlauen Köpfe der Achtziger- und Neunziger-Hardcore- und Poplinken noch halbwegs sicher sein, dass kein erst zu nehmender Künstler es ungestraft versuchen konnte, irgendeinen positiven Bezug zu Deutschland herzustellen, gehört es heute fast zum guten Ton, die nationale Semantik zu bedienen. Das Neue dieser Entwicklung ist die unverhohlene Kreation einer vermeintlich besseren deutschen Identität. Man gibt vor, aus der Geschichte gelernt zu haben, und mann nun – zumal es sich ja um eine andere Generation handelt – unbeschwert in die Zukunft eines ganz und gar gebesserten Kollektivs schauen.

Nicht mehr um die nationalökonomische Prämisse des Popstandorts geht es, sondern um die kruden Insignien einer deutschen Normalität. Endlich soll der Status der schuldbeladenen »Verlierernation« abgelegt werden, endlich soll »das deutsche Kollektiv sich wieder auf die Schulter klopfen«, wie Noah, Hauptinitiator von »Angefangen«, forderte. So avanciert ein Schulterklopfer zum Schenkelklopfer: Gerade die deutsche Friedensbewegung, deren antiamerikanisches und schuldbefreiendes Potenzial selbst Wolf Biermann erkannte, wird zum Garanten für ein weltoffenes und geläutertes Deutschland. Wenn Mia nun »Was es ist« vorlegt und die der Band nahe stehende Kulturkampagne »Angefangen« nach einer Neudefinition der deutschen Werte verlangt, dann bemüht man sich nicht mal mehr, symbolische Grenzverletzungen zu kodieren. Das Label »Deutsch« steht nicht mehr, wie es sein sollte, für den Zivilisationsbruch der Massenvernichtung, nicht mehr für das Land der Täter und deren Schuld, sondern für das geklärte Verhältnis zur Vergangenheit.

You’re not alone

Mia und Kollegen sind nicht allein. Die – wie Zaimoglu all die neuen funky Li-La-Laune-Bands nannte – »hippen Wohlstands- und Wohlfühlpatrioten«, die ihr schlechtes Gewissen loswerden möchten, können mittlerweile getrost in der »Generation Deutsch« zusammengefasst werden. Ein Kommentar »Zur Lage der Nation« im Lifestyle-Magazin Deutsch bringt die Sache auf den Punkt: »Erst in jüngster Zeit mehren sich sehr vorsichtige Zeichen einer neuen Generation, die sich selbst von der burlesken Seite zu nehmen versteht, ohne sich dabei ihrer selbst zu schämen. Der Nationalcharakter scheint sich im Wandel zu beschleunigen, und das Bild im Ausland, das einst die Gemütlichkeit als steckbrieflichstes Merkmal zeichnete, später aber das niederträchtige, das technokratisch-mordende Element in den Vordergrund setzte, enthält schon neue Farbspiele und Schattenwürfe.« So verquast sieht neudeutsche Geschichtsklitterung aus. Die Mischung von Moralität und Zivilität sowie der berechnende Umgang mit der eigenen Vergangenheit, gepaart mit einer neorevisionistischen Historiographie, bildet den dicken Schlussstrich, der mittlerweile die politische mit der popkulturellen Debatte vereint. Innerhalb dieser Entwicklung oder besser Modernisierung ist es auch kein Widerspruch, dass eine Band wie Mia binnen eines halben Jahres zum »Revolutionären 1. Mai« in Berlin aufspielt, um einige Monate später in unbekümmerter Zielstrebigkeit ein neues nationales Projekt zu verkünden. Zeichnet sich die Berliner Republik dadurch aus, dass sie das Erinnern an Auschwitz unter Zuhilfenahme der Subsumierung von Leid mit dem Erinnern an die Großväter und –mütter vereint – das Schuldgedächtnis also durch eine Erinnerung an ein angeblich universelles Leiden ersetzt –, so hat der popkulturelle Soundtrack zu dieser Berliner Republik diese Werte schon verinnerlicht. Hier ist der nationale Mythos bereits auf on geschaltet, hier braucht es nicht einmal die neuen diskursiven Elemente »Bombardierung«, »Vertreibung«, »Gefangenschaft« und »Vergewaltigung«, um die nationale Formierung zu kaschieren, hier wird unverblümt und mit infantilem Problembewusstsein das praktiziert, woran die große Mehrheit dieses Landes seit fast 60 Jahren bastelt: das Geschichtsbuch in selbstgewisser Unschuld zuzuklappen.

Verloren im Diskurs

Alarmierend ist dies für uns allemal. Die Geballtheit und Dreistigkeit der deutschen Popkulturoffensive hat auch uns überrascht. Widerstand scheint zwecklos angesichts der Tatsache, dass sich selbst kritische Geister heute unter dem Label der Compilation »Heimatkult – German Liedgut 1« – hier dürfen sich Tocotronic, Die Sterne und die Beginner angesprochen fühlen – zusammenfassen lassen, ohne dabei aufzumerken. Und das, obwohl ähnlich gelagerte Bands noch vor zehn Jahren gegen einen rassistischen Konsens mit dem Motto »Etwas besseres als die Nation« mit den so genannten Wohlfahrtsausschüssen durch die Lande tourten. Unsere persönliche wie kulturpolitische Enttäuschung möchten wir an dieser Stelle nicht verbergen, denn die »Wiederbelebung der deutschen Popmusik« – so die Ankündigung besagter Compilation – meint für uns nach wie vor das rückwärts gewandte Phantasma der deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft.

Es mag pathetisch klingen, aber nachdem das »Subversionsmodell Pop« bereits vor einigen Jahren als minderheitlich inszenierter Mainstream an seine Grenzen gestoßen ist und sein rebellierendes Moment faktisch selbst konservierte, stirbt Pop heute zum zweiten Mal. Diesmal, so scheint es zumindest, ist der gegen die Chiffren der deutschen Nation einst in Stellung gebrachte Ansatz von Pop den Bach runter gegangen. Stattdessen entdecken junge »coole Deutsche« – mögen sie Mia, Sönke Wortmann oder eben Jan Eißfeldt heißen, mögen sie aus Berlin-Mitte oder Hamburg kommen – spielerisch oder ganz direkt das deutsche Kollektiv als positive Bezugsgröße.

Nachdem die Linke, wohl zu Recht, schon vor geraumer Zeit das sinkende (Pop-) Schiff verlassen hat, kehren nun etliche zurück. Das Terrain, auf dem wir uns als Conne Island befanden, ist verloren, das wissen wir selber. Trotzdem, wer das Konzept nationaler Identität in dem mittlerweile leeren und ausgehöhlten Popbegriff transformieren möchte – sei es innerhalb einer neuen deutschen Härte oder einer neuen deutschen Sensibilität –, darf sich unseres Widerspruchs sicher sein.