EFA - Abschied von Gestern
[26.03.04]
Quelle: Intro.de

So unterschiedlich ausgerichtete ausländische Labels wie Anticon (HipHop), Constellation Records (Postrock) oder Dischord (Fugazi und Freunde) stehen im Moment ohne Vertrieb in Deutschland da. Genauso wenig kommt der Nachschub vom Münchener Label Blickpunkt Pop (Mehmet-Scholl-Compilation ›Vor Dem Spiel Ist Nach Dem Spiel‹) in die Läden. Das Franfurter Playhouse-Label hat einen fünfstelligen Betrag verloren. Force Inc. können das Aus nicht mehr abwenden. Die Verunsicherung ist allerorts groß. Fakt ist, die EFA, der größte deutsche Indie-Plattenvertrieb, hat Anfang März Insolvenz angemeldet. Nach dem Aus von Connected schon wieder eine markante Schreckensmeldung aus dem Lager der deutschen Indie-Vertriebe.

In Zusammenarbeit mit einem Insolvenzverwalter soll für einzelne Kernbereiche des Unternehmens eine Perspektive entwickelt werden. Die eigentlichen Vertriebsgeschäfte der EFA stehen aber still, mehr als 50 Mitarbeiter bangen um ihren Job. Die Lager sind versiegelt. Das finanzielle Desaster ist komplett: EFA-eigene Labels werden ab sofort eingestellt. Auch viele der an die 200 bisher von EFA vertriebenen Plattenfirmen sind durch die Pleite erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Es wird gebangt: Wie stark sind Tresor Records trotz Vertriebswechsel zu Neuton von der Pleite ihres ehemaligen Vertriebs betroffen? Bringen Buback wie geplant alle Veröffentlichungen an den Start? Viele Labels sind finanziell (zumindest) angeschlagen. So fehlt den Hamburger Pop Up Records nach eigenen Angaben durch die EFA-Pleite das halbe Jahresbudget. Durch ausbleibende Tantiemen wird auch die Situation für Künstler prekär. Womöglich ist auch die Zukunft deiner Lieblingsband beeinträchtigt. Kurzum: Die Pleite der EFA ist die größte Havarie im Independent-Bereich, seit die amerikanische Niederlassung von Rough Trade 1991 baden ging. Es hat bekanntlich bis ins Jahr 2000 gedauert, als Rough Trade mit den Strokes international langsam wieder auf die Beine kamen.

Die Keimzelle der unabhängigen Vertriebsstruktur

Mit der EFA trifft es jetzt den dienstältesten, seit 1981 bestehenden unabhängigen deutschen Vertrieb. EFA war »die Keimzelle der unabhängigen Vertriebsstruktur«, wie es Michael Schuster von der Cargo-Distribution formuliert und gleichzeitig bedauert, dass »durch die Pleite ein wichtiges Kapitel der Independent-Kultur endet.« Einst stand das Prinzip Indie für künstlerische Freiheit, für mehr Enthusiasmus und Kreativität beim Label-Output. Die EFA verkörperte dies schon allein durch ihre musikalische Vielfalt. Sie führte all jene Titel und Genres im Programm, die sich für die Majors nicht rentierten. Selbst Labels mit weniger als fünf Veröffentlichungen pro Jahr nahm man unter die Fittiche. Die EFA war als Agentur für kleine, mittlere und große Indielabels zuständig. »Der Katalog der EFA wird in seiner Breite in Zukunft nicht mehr vertrieben werden«, sagte Manfred Schütz, Geschäftsführer von SPV, einem der größten deutschen Vertriebe und Konkurrenten der EFA, voraus. Gerade im Indiebereich hatte und hat die persönliche Betreuung durch Vertriebsmitarbeiter wichtige Bedeutung. Jedes Label hatte bei der EFA einen Ansprechpartner, der dessen Anliegen an das restliche EFA-Team weiterkommunizierte und so gewährleistete, dass von den Vertretern bis zur Promoabteilung alle immer auf dem aktuellen Stand waren. »Mein Kontakt war im Wesentlichen der zu einem Disponenten«, erzählt Marc Liebscher von Blickpunkt Pop. »Der hat extrem gute Arbeit geleistet und sich für meine Schallplatten draußen eingesetzt.« Gerade die gute Kommunikation mit den Labels, früher ein Markenzeichen, blieb am Ende aus. In den letzten sechs Monaten hatte Liebscher von Vertriebsseite kein Geld mehr gesehen und stellte deshalb auch die Nachlieferungen ein. Blickpunkt Pop ist durch die Pleite insgesamt ein fünfstelliger Betrag verloren gegangen. Liebscher behilft sich momentan durch die CD-Verkaufserlöse seiner tourenden Bands (und hat natürlich auch noch Einnahmen über seine Funktion als Booker und Manager der Sportfreunde Stiller). In bescheidenem Maße tragen auch Plattenverkäufe über die Homepage zur Begleichung von offenen Rechnungen bei. Neuerdings karrt der Münchener seine Tonträger selbst in die lokalen Plattenläden und verkauft sie auf Kommission. In andere Städte wird er aber nicht fahren. Und der Verwaltungsaufwand für den Postversand an kleine Läden wäre ihm als Einmannbetrieb auch zu groß.

Kleine Läden, Pop-Charts und das Leid mit den Strukturen

EFA war mit seiner kenntnisreichen Vertriebsarbeit maßgeblich dafür verantwortlich, dass hierzulande Grunge (das erste Nirvana-Album wurde von der EFA vertrieben) und Drum’n’Bass (Moving Shadow Records waren im EFA-Vertrieb) ins Visier der Massen kamen. Was Anfang der Achtziger zunächst chaotisch und fanmäßig begann, hat sich im Lauf der Zeit zu handlungsfähigen Strukturen ausgewachsen. Wie die EFA fahren heute alle großen deutschen Vertriebe zweigleisig, um über die Runden zu kommen: Sie führen nach wie vor neue Labels ein und machen deren Produkte marktfähig. Andererseits hieven sie inzwischen auch etablierte Künstler in die Charts – wobei angemerkt sei, dass es hierbei hilfreich ist, dass man heute nicht mehr fünfstellig verkaufen muss, um in die Hitparade zu kommen. »Diese Art von Vermarktung schafft man nur über die großen Einzelhandelsketten und Märkte«, sagt Nikkel Pallat. Einst war er Mitbegründer der EFA, gründete aber Anfang der Neunziger den Vertriebs-Konkurrenten Indigo in Hamburg. »Es ist Musikern nicht zu verdenken, wenn sie nach jahrelanger Aufbauarbeit größere Verkaufszahlen erwarten und ihre Vertriebe auch die großen Ketten mit ihrer Musik beliefern. Alles andere wäre kontraproduktiv.«
Andererseits haben die großen Ketten die Einzelhandelslandschaft ausgedünnt. Zwischen all den Waschmaschinen im Großmarkt würden »Musikprodukte sich selbst überlassen«, findet Wolfgang Petters, Begründer des Hausmusik-Labels und -Vertriebs. Während manche ehemals von EFA vertriebenen Labels es für Zeitverschwendung halten, ihre Waren in die großen Kreisläufe einzuspeisen, ärgert genau das junge ambitionierte Labelheads wie Christoph Wieland, Betreiber von Pop Up Records: »Auf Konzerten fragen mich die Leute ständig: Wo kann man eure Platten kaufen? In den großen Läden jedenfalls nicht.« Eine allgemeine Folge der Krise in der Musikindustrie: Die Einzelhandelsketten reduzieren bereits wieder ihre Verkaufsflächen für Tonträger. Letztendlich treffe die Schließung einer WOM-Filiale in Hamburg »unabhängige Labels und Vertriebe genauso wie die Majors«, meint Kurt Thielen, der langjährige Manager von Rough Trade Deutschland und Zomba, der nach dem Verkauf des Unternehmens an die BMG gehen musste. »Corporate Rock still sucks«, verkündete das von EFA vertriebene Label SST einst. Die EFA ist leider auch an ihren verzweigten und komplizierten Strukturen gescheitert. Die Arbeitsbereiche Export, Domestic, Vinyl- und CD-Vertrieb waren bis zuletzt unter einem Dach vereint. Die EFA hatte auch noch die Vertriebe RecRec (Schweiz) und Ixthulu (Österreich) gekauft. Es wurden EFA-Büros in Köln und Berlin unterhalten, eine Verwaltung war in Frankfurt, die Buchhaltung in Göttingen und die Lager in Hamburg. Jüngere deutsche Vertriebe wie MDM oder Hausmusik arbeiten an einem zentralen Ort mit drei bis fünf Mitarbeitern und spezialisieren sich auf bestimmte Geschäftsbereiche wie den Import von Vinyl oder den Export deutscher Labels ins Ausland.

Seifenblase Export Wonderland

Vielleicht hat die EFA auch einfach einige musikalische Entwicklungen verschlafen. Nach dem Ende des Elektronikmusik-Booms 1999 setzte sie trotzdem ungebremst auf den Vertrieb von Dance-Labels. Für eventuelle Umorientierungsphasen gab es schlichtweg kein ausreichendes finanzielles Polster. In den Neunzigerjahren machten Label-Importe und der Vertrieb einheimischer Labels teilweise unter 50 Prozent des Umsatzes der EFA in Deutschland aus, eine Tendenz, die vor allem durch die verstärkten Export-Tätigkeiten bedingt wurde: In Spitzenzeiten machte der Export auf den amerikanischen Markt 55 Prozent des Umsatzes aus – wobei man anmerken muss, dass hierbei die Lieferungen als Grundlage dienten und nicht die Verkäufe. Denn auch wenn die EFA durch Pleiten von Vertriebspartnern in den USA in den Neunzigern Geld verloren hat, so war das nicht das eigentliche Problem im Exportbereich (dank Hermes Kredite, einer Sicherungsinstanz, die der Staat für Unternehmen eingerichtet hat, um sie zu motivieren, so genannte Risiko-Export-Geschäfte überhaupt anzugehen, war der Schaden versichert), sondern die massive Retour exportierter Waren. Da das damals zuständige Team sich für eine Politik der verstärkten Marktpräsenz in Übersee entschieden hatte, mussten die Labels nach Platzen der Seifenblase Export Wonderland mit der Backclash-Erkenntnis leben, dass fast jede Veröffentlichung überpresst worden war. Dies allein hat die EFA nicht in den Ruin getrieben, aber die Spirale nach unten in Gang gesetzt.

Inhouse-Labels – Teil des Problems?

Die EFA hatte für kleine Labels teilweise die Herstellungsabwicklung übernommen, finanzierte sie vor und gewährte teils Kredite. Der Vertrieb selbst wiederum steckte in den letzten Jahren auch Geld in so genannte Inhouse-Labels: Mit eigenen Firmen wie Clearspot wurden Künstler gemanagt und Tonträger herausgebracht. »Ich finde es schlecht, wenn ein Vertrieb eigene Labels startet«, so die Meinung von Bettina Richards, Begründerin des amerikanischen Labels Thrill Jockey Records, das unter anderem Bands wie Tortoise und The Sea And Cake veröffentlicht. »Es ist anscheinend unvermeidlich, dass somit Geld, das der Vertrieb als Startkapital für eigene Labels hernimmt, von dem abgezapft wird, was eigentlich den vertriebenen Labels zusteht.« Thrill Jockey sind auch von der EFA-Pleite betroffen und haben einen fünfstelligen Betrag abgeschrieben. Hausintern sieht man das bei der EFA anders, da die Inhouse-Labels selbst zuletzt schwarze Zahlen geschrieben haben.

Geschichten aus der Welt der Insolvenzverwalter

Während Thrill Jockey mit Rough Trade bereits einen neuen Vertrieb in Deutschland gefunden haben, trifft es Achim Szepanski von Force Inc. härter. Als unmittelbare Folge der Pleite muss das Elektroniklabel mit allen seinen Unterabteilungen Insolvenz anmelden, weil es sechsstellige Außenstände bei der EFA gibt. Nun will sich Szepanski aus dem Geschäft mit den Tonträgern zurückziehen und überlegt in Zukunft, Bücher herauszubringen oder DVDs. Der Musikmarkt ist nun mal ein schnelles Geschäft. Ein einziger Insolvenzverwalter entscheidet darüber, wer zuerst an alte Bestände und noch nicht ausgelieferte Neuware in der Konkursmasse der EFA kommt. Bei einem Umfang von 200 Labels kann das Monate dauern. Eine Chance, schnell an Tonträger zu kommen, besteht höchstens, wenn der Insolvenzantrag mangels Masse abgelehnt wird. Weil sich aber bei den Tonträgern Eigentumsvorbehalte überlagern (Presswerk und Labels behaupten, es sei ihre Ware), wird ein juristischer Kraftakt nötig sein. EFA hatte für Verkäufe bei den Labels bereits Einnahmen abgezogen, aber nicht die Rechnungen beim Presswerk bezahlt. Weil sich siebenstellige Außenstände angehäuft hatten, stoppten Presswerke wie die Pallas in Diepholz oder die österreichische DADC die Auslieferung von Tonträgern an die Labels. Sowohl Presswerke als auch Labels machen nun Besitzansprüche geltend.

... die EFA eine Zukunft hat, wenn ihr es wollt!

Die Kunst der Distribution, so heißt es, ist nicht nur der Vertrieb der Waren, sondern vor allem das Wahren der Liquidität. Die EFA hatte sogar Geld ausgegeben, das sie gar nicht besaß. Noch im Februar baten die beiden EFA-Geschäftsführer Horst Lewald und Ulrich Vermehr in einem Rundschreiben an die Labels um Geduld und teilten mit, »dass unsere derzeit vorhandenen und kurzfristig verfügbaren liquiden Mittel nicht ausreichen, die fälligen Verbindlichkeiten gegenüber unseren Labels zu bedienen.« Als Schlussakkord wagten sie die Behauptung, »dass die EFA eine Zukunft hat, wenn ihr es wollt!« Bis zuletzt kamen neue Labels zum EFA-Katalog hinzu (inwieweit die Geschäftsleitung da mit ehrlichen Karten gespielt hat, sei dahingestellt), so zum Beispiel auch der CD-Vertrieb von Gigolo Records, bis vor Jahresfrist noch in der Obhut von Universal. Auf der anderen Seite hatte der Abgang zahlreicher alter EFA-Handelspartner wie Kitty-Yo und Disko B zu Indigo (CDs) und Hausmusik (Vinyl) im vergangenen Jahr Sogwirkung. Der EFA-Crash trifft nun die gesamte Branche, »das Geld wird letztendlich allen fehlen«, prognostiziert Wolfgang Petters von Hausmusik. Manche Arbeitsweisen scheinen für die Zukunft kaum noch denkbar. So hatten Labels mit der EFA Verträge auf Basis eines Handschlags abgeschlossen. Die Verkaufszahlen der Frankfurter Technolabels Resopal und Konvex-Konkav waren mit 1500 Stück pro Veröffentlichung konstant. Weil aber Zahlungen ans Presswerk ausblieben, musste das Label ab September vergangenen Jahres selbst in Vorkasse gehen, bis ihm die Bank den Kredit sperrte. EFA hielt sich nicht an die abgemachten Fristen bei der Rückzahlung. »Und ruckzuck ist man beim Offenbarungseid«, sagt der Labelboss Stephan Lieb über die Verhandlungsatmosphäre. Weder softe Forderungen noch Mahnbriefe vom Rechtsanwalt halfen. Monatelang wurde das Dance-Label von der EFA-Geschäftsleitung hingehalten. Allgemein trifft es jetzt Labels wie Force Inc. am härtesten, die dem Vertrieb im Vertrauen bis zuletzt die Stange gehalten haben.

Rezession, Baby 1

Selbst das Ende des größten deutschen unabhängigen Schallplattenvertriebs nimmt sich unter den Pleitennews einer wirtschaftlichen Rezession vergleichsweise bescheiden aus. Der Umsatz der EFA am Gesamtumsatz der Musikindustrie betrug gerade mal ein Prozent. Der Charts-Anteil der EFA lag bei nur circa 0,1 Prozent. Mehr Geld verdiente man mit Vinyl-Import (ca. zehn Prozent) und beim Export. Die Konkurrenz reibt sich ob der katastrophalen Situation nicht etwa die Hände, man jammert. Bei Kompakt in Köln wurde ein Aufnahmestopp für gestrandete Labels beschlossen. Indigo haben von 20 Hilfe suchenden Labels ganze drei aufnehmen können, denen jetzt mit Neupressungen oder kurzfristigen Finanzspritzen wieder auf die Beine geholfen werden soll. Das sei trotzdem ein großes Wagnis, fürchtet Nikkel Pallat.

The Times They Are Changing

Im Spannungsverhältnis von Majors und Indies änderte sich zu Beginn der Neunziger etwas. Aus Indie und do it yourself wurde Alternative. Die Majors imitierten die Arbeit der Indies, gründeten Alternative-Sublabels und signten unbekannte Bands und Künstler nach Methode der Indies. Damit wurde die langfristige Arbeit der Indies ausgetrocknet. Mit dem Siegeszug der elektronischen Medien und der Digitalisierung der Vertriebswege seit Mitte der Neunziger haben sich aber auch manche der Indie-Existenzgrundlagen verselbständigt. Spezielles Liedgut ist heute überall im WWW zu finden. Es wird mehr Musik übers Netz verbreitet als über jeden anderen Vertriebskanal. Der alltägliche Umgang mit Computern und CD-Brennern hat zu einem ständigen virtuellen (oft illegalen) Austausch von Musik und Informationen geführt. Der Wert von Musik ist dadurch gesunken. Tonträger sind keine Jagdtrophäen mehr. Für Kurt Thielen, ehedem Manager bei Rough Trade Deutschland, ist die EFA-Pleite darum auch ein erstes »Anzeichen für die Marginalisierung des Tonträgers und einer Bewegung hin zum digitalen und mobilen Geschäft«.
Im EFA-Werbeslogan »Life is too short for boring music« drückte sich der Wunsch aus, innovative Musik in den Handel zu bringen. Musikinteressierte Fans suchen sie sich nach wie vor auch in den kleinen Läden, die teilweise unabhängig von dem geführt werden, was im Mainstream gerade passiert. Auch wenn die Unterscheidung von Mainstream und Indie heute schwerer fällt denn je, unabhängige Labels sind nach wie vor näher dran am lokalen Musikgeschehen und an dem, was rund um die Welt gerade an spannenden Musiktrends passiert. Musik, die nicht auf den Radarschirmen des Mainstreams auftaucht, hat ihre Daseinsberechtigung durch die EFA-Pleite nicht verloren. Die Majors haben seit Jahren an massiven Umsatzeinbußen zu leiden. Sie versuchen sich durch Zusammenschlüsse, so genannte Mergers (wie zuletzt von Sony und BMG), zu verschlanken und die Konkurrenz vom Markt zu drängen. Eigentlich müsste das wieder die Stunde für die Indies sein.

Rezession, Baby 2

Das Ende der EFA wird selbstverständlich auch mit der allgemeinen Krise der Musikindustrie in Verbindung gebracht. Einer Krise, in der die Indies sich qua Selbstverständnis und kleinerer Budgetierung lange Zeit für unverwundbar hielten. Es heißt, unabhängige Labels seien weniger von der Brennproblematik betroffen. Das Bewusstsein, Musik zur Not auch für lau aus dem Netz ziehen zu können, schmälert aber ihren Stellenwert. Es sind bereits auch Märkte eingebrochen, in denen Indies traditionell stark vertreten waren. So etwa die Kultur der Compilations und, was wirklich als dramatisch empfunden wird, der Markt für Debüts. Auch kleine Plattenläden weigern sich immer mehr, Debütalben in die Regale zu stellen. »Statt früher 1500 Stück verkaufen wir jetzt im Durchschnitt 600 Exemplare eines Debütalbums. Da fragt man sich natürlich, aus welchem Etat überhaupt noch eine Studioaufnahme gedeckt werden soll. Das wird zu unrentabel, und man wird in Zukunft nur noch mit Livekonzerten Geld verdienen. Das führt wiederum zu einer künstlerischen Ausdünnung«, ist sich Nikkel Pallat sicher. Musik hat in Funsport, Videospielen und Handys starke Konkurrenz bekommen. Die Majors wollen die Rückgänge beim Tonträgerumsatz mit Handyklingeltönen kompensieren, einer Sparte, in der die Indies nichts zu melden haben. Bei Klingeltönen handelt es sich um einen reinen Zweitverwertungsmarkt. 95 Prozent aller Klingeltöne sind Schlager oder Top-30-Charts-Hits. So glaubt denn auch niemand, dass sich Indies über solche Themen refinanzieren können und bald bei Anruf ›Macht Kaputt, Was Euch Kaputt Macht‹ von Ton Steine Scherben ertönt.

Wann bitteschön war es je leicht, unabhängig zu sein?

Indies seien »unterkapitalisiert«, schrieb der ehemalige Universal-Chef Tim Renner ein paar Tage nach der EFA-Pleite in der SZ. Da arbeiteten oft »Fans und keine Kaufleute«, was sich negativ auf ihre Bilanzen auswirken würde. Vielleicht muss sich das System Indie auch wieder nach unten korrigieren. Chancen dafür gibt es nach wie vor im Nischenbereich, wo alle paar Jahre eine Regeneration stattfindet und neue Handelsstrukturen aufgebaut werden können. Hausmusik in München hatten letztes Jahr ein Umsatzplus von 30 Prozent zu verzeichnen, was vor allem auf den Import von Vinyl zurückzuführen ist. »Ich sehe auch weiterhin neue Musiken, die aufgegriffen werden müssen«, sagt Nikkel Pallat von Indigo. »Es gibt immer Leute, die sagen, meine Eltern hassen Jens Friebe, also veröffentliche ich den jetzt.« Es wird auch weiterhin spannende Indiemusik geben. Wie eh und je werden Künstler unabhängig vom Mainstream kreative Potenziale entwickeln. Auch wenn es noch nie so schwer schien wie jetzt, machen die Indies weiter. Wann bitteschön war es je leicht, unabhängig zu sein?

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karu99 [karu99@gmx.de]Zitate:

Christoph Wieland, Pop Up Records, Hamburg: »Die derzeitige Situation auf dem Indiemarkt ist vergleichbar mit der Lage im Baugewerbe. Geht eine Bauunternehmung Pleite, sind auch die Subunternehmer betroffen, egal, wie gut sie gewirtschaftet haben.«
Atta, A&R bei Playhouse Records, Frankfurt a. M.: »Mich erinnert das Grounding der EFA ans Club-Sterben in Frankfurt. Ende der Neunziger haben viele Läden dichtgemacht. Die Unruhe war groß. Es ging dann alles eine Nummer kleiner weiter. Jetzt haben wir mit dem Robert-Johnson in Offenbach wieder eine super Adresse.«
Nikkel Pallat, Indigo, Hamburg: »EFA, das bedeutete Liebe zur Musik und Widersprüchlichkeit. Es wurde heftig gestritten, aber das war auch Ausdruck einer wunderbaren Euphorie. Dieses Gefühl gibt es heute auch noch. Es wird immer einen kulturellen Underground geben, der gefördert werden muss.«
Bettina Richards, Thrill Jockey, Chicago: »Die Zusammenarbeit mit der EFA begann auf Vermittlung von City Slang Records. Mein Künstlerstamm expandierte, aber die meisten Platten waren ohne europäischen Vertrieb. EFA waren die ersten und die besten Partner, die mein Label vertrieben haben. Da saßen echte Fans und Kenner. Wie bei allen Vertrieben gab es verspätete Rückzahlungen, aber es gab nie ernsthafte Probleme, bis letztes Jahr.«

Ein Schallplattenvertrieb ist ein zentrales Glied in einer Handelskette. Sie beginnt beim Künstler, der Tonträger aufnimmt, diese bei einem Label veröffentlicht. Das Label wiederum lässt die Tonträger industriell herstellen und liefert sie an den Vertrieb weiter, weil es selbst nicht die nötigen Strukturen zur Distribution seiner Waren hat. Der Vertrieb wiederum liefert die Ware an den stationären Handel (Plattenläden) und die Mailorder-Anbieter, wo die Konsumenten ihre komplexe Kaufentscheidung treffen.

EFA (Energie Für Alle) war 1981 im Umfeld der Politrockband Ton Steine Scherben als Zusammenschluss sieben unterschiedlicher Labels, Kleinvertriebe und Privatpersonen gestartet. Das ausdrückliche Gründungsziel, unabhängig hergestellte Musik in die Schallplattenläden zu bringen, wurde mit ungewöhnlichen Methoden verfolgt: Damals war es tatsächlich ein Politikum, wenn beispielsweise der Berliner EFA-Mitarbeiter Werner Schrödl durch die Lande fuhr und Kartons mit Dead-Kennedys-Scheiben aus dem Kofferraum seines Wagens an die Plattenläden vertickte. Im Laufe der Achtziger expandierte die EFA: Mit dem Boom der angloamerikanischen Indies in der zweiten Hälfte der Achtziger ließ sich auch hierzulande gut arbeiten. Labels wie SST, Touch&Go, Alternative Tentacles und Sub Pop wurden von der EFA erfolgreich vertrieben. In den Neunzigern setzte die EFA vor allem auf den Boom mit elektronischer Musik.

Fragenan Matt Back, Musiker (Coldcut) und Labelbetreiber (Ninja Tune):
Wie wird die Musikwirtschaft in 20 Jahren aussehen?
Es wird eine desolate Landschaft gigantischer Dinosaurierknochen und einen fruchtbaren Dschungel mit schnellen, scharfsinnigen Primatenstämmen geben.
Was sollen wir tun, um uns auf die Zukunft vorzubereiten?
Besorgt euch einen Computer und lernt, damit umzugehen. Entwickelt gleichzeitig menschliche Fähigkeiten, die Computer nicht haben.
(Aus: Janko Röttgers ›Mix, Burn&Rip. Das Ende der Musikindustrie‹ Hannover 2003, S. 179.