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HipHop ist antirassistische Weltkultur. Jedenfalls für Hannes Loh, der gemeinsam mit Murat Güngör von Kanak Attak gerade das Buch Fear of a Kanak Planet veröffentlicht hat. Die Autoren zeigen, wie derzeit eine Popularisierung des so genannten Deutschraps stattfindet und HipHop immer mehr zu einer nationalistischen Spielwiese für weiße Mittelstandkids verkommt. Loh und Güngör warnen davor, dass sich künftig Rechte und Nazis des HipHops annehmen und ihn wie schon zuvor beim Rock von seinen schwarzen Wurzeln ablösen. Die zentrale These des Buches von Loh und Güngör lautet: HipHop ist in seinen Ursprüngen die Musik der (rassistisch) ausgegrenzten und daher antirassistische Weltkultur. Während das in den USA schwarze Getto-Kids waren, hat sich HipHop in Deutschland vor allem in der (männlichen) Migranten-Szene manifestiert. Junge Türken, Jugoslawen, Schwarze, Afrodeutsche, Griechen - allesamt in Deutschland groß geworden und mit alltäglichen Rassismen und Ausgrenzung bestens vertraut - waren das Zentrum. In den Jugendzentren der Republik nahmen sie sich des HipHops an: In den frühen 80er Jahren war es zunächst der Break-Dance, der den migrantischen Jugendlichen neue Möglichkeiten des Ausdrucks gab. Dann kamen Sprayen, DJing (Scratchen) und schließlich der Rap. Für diese Kids waren Rapformationen wie Public Enemy nicht nur wegweisend, sie schienen auch aus einer vergleichbaren gesellschaftlichen Situation und einer ähnlichen Erfahrung zu texten. Wer in dieser frühen Phase dabei sein wollte, der musste in die Jugendzentren gehen. Fortan berichteten überwiegend MigrantInnen-Kindern in einer schnell anwachsenden Szene von ihren alltäglichen Erfahrungen, von ihren Lebensumständen in sozialen Brennpunkten, von rassistischen Alltagserfahrungen und was sie sonst noch so beschäftigte. In dieser Phase bis Anfang der 90er Jahre spielte es - so die Autoren - keine große Rolle, in welcher Sprache gerapt wurde: Nationalität, Sprache und Herkunft waren nebensächlich. Nach der deutschen Wiedervereinigung und den rassistischen Anschlägen und Überfällen in Solingen, Mölln, Rostock-Lichtenhagen änderte sich dass schnell. Die beiden Autoren machen das an dem Album von den Fantastischen Vier fest, die 1992 mit großem kommerziellen Erfolg Vier Gewinnt und die Single Die da!?! veröffentlichten. Hier entsteht nun etwas, dass seitdem seinen Siegeszug unter dem Namen Deutschrap angetreten hat und in dessen Mittelpunkt nicht mehr alltägliche Erfahrungen einer ausgegrenzten und stark migrantisch geprägten Unterschicht stehen. Spaß und gute Laune - komplett Deutsch gereimt - kam nun auf die Tagesordnung. Diejenigen, die jetzt die Hitparaden zu stürmen begannen und kommerziell absahnten, waren weiß, stammten aus dem Mittelstand und hatten mit der bisherigen HipHop-Szene nichts zu tun gehabt. Auf der Suche nach neuen Absatzmärkten unterstützten Musiksender und Plattenindustrie diese Entwicklung massiv. HipHop ist in der deutschen Mitte angekommen. Diejenigen, die bislang die Szene ausmachten und neben allen erdenklichen Sprachen immer wieder auch auf Deutsch gerapt hatten, werden nun mit dem Etikett Oriental-HipHop versehen und dadurch weiter ausgrenzt. Über Rassismus rappen Geschockt von den Ereignissen in Hoyerswerda und Rostock widmen sich viele verstärkt dem Thema Rassismus. Höhepunkt war sicherlich die aus Heidelberg stammende Formation Advanced Chemistry mit Torch, Toni L. und Linguist. Während in der Republik AsylbewerberInnen von Skins ermordet werden, AusländerInnenwohnheime brennen, der Mob applaudierend daneben steht, der Deutsche Bundestag das Asylrecht nahezu beseitigt und der Deutschrap gerade erfunden wurde, entsteht das Album Fremd im eigenen Land. Doch was in der Szene mit viel Aufmerksamkeit beachtet wird und vielen - vor allem migrantischen Kids aus der Seele spricht - hat kommerziell keine Chance. Auch der zwei Jahre später veröffentlichte Song Operation Artikel 3 wird lediglich in der Szene wahr genommen. Torch und Freunde thematisieren hier ihre eigene Situation als in Deutschland geborene bzw. mit deutschem Pass ausgestattete Jungs mit schwarzer Hautfarbe. Bei der Musikindustrie können Advanced Chemistry damit nicht landen. Bis zur Jahrtausendwende boomt der Deutschrap. Immer mehr weiße Mittelstands-Kids stürzen sich auf den Rap und eine bestens organisierte Medienlandschaft pusht das Zeug in die Charts. Die Festivals werden immer größer. VertreterInnen der alten Szene, die in ihren Texten weiterhin auf ihre Lebensumstände aufmerksam machen, haben nur noch im Rahmen von Multikulti-Veranstaltungen gegen Rechts eine Chance wahrgenommen zu werden. Häufig ist das aber nicht mehr als Folklore. Ende der 90er Jahre verschärft sich die Situation weiter. Neben dem Deutschrap für die neue Spaßgesellschaft entwickelt sich eine Battlekultur, die immer krassere Ausdrucksformen findet. Die sexistischen Sprüche nehmen zu: Andere MC werden als Schwanzlutscher oder Fotze gedisst, Frauen - in der HipHop-Szene ohnehin kaum als Akteurinnen zu finden - werden zu Bitches, allenthalben werden Mütter gefickt, wenn ein anderer MC runter gemacht werden soll. Immer häufiger werden schwarze Rapper von Weißen als Nigger bezeichnet. Immer häufiger tauchen Sprüche auf, die auf den Nationalsozialismus zugreifen: Ich burn dich wie Synagogen oder ich vergas' dich wie Hitler die Juden lauten auf einmal die Freestyles. Auf den Internetseiten von Nazis und Rechten beginnt parallel eine Diskussion, in wie weit es den Nazis möglich ist, den HipHop von seinen schwarzen Wurzeln zu trennen und ihn als massentaugliches Instrument der Propagandaarbeit einzusetzen. Mit Rechts-Rock war das ja inzwischen gelungen und diese rechte Kulturarbeit dürfte starken Anteil daran gehabt haben, dass Jugendliche verstärkt mit rechtem Denken in Kontakt kamen. Auch wenn es noch keine eindeutig rechten HipHoper gibt. Die beiden Autoren führen diverse Belege aus Raptexten und Internetdiskussionen an, die deutlich machen, dass Nazi-Rap durchaus Realität werden könnte. Beide Autoren von Fear of the Kanak Planet stammen aus dem Herzen der HipHop-Szene Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre, waren als Rapper aktiv und sind bis heute fest in der Szene verwurzelt. Loh inzwischen vor allem als Autor, Güngör als Aktivist bei Kanak Attak. Dadurch dürfte ihr Blickwinkel für viele aus dieser Szene sicherlich interessant sein und möglicherweise führt das dazu, dass es tatsächlich zu Diskussionen kommt, was HipHop ist und wohin er sich entwickelt. Doch damit fehlt ihnen natürlich auch ein wenig die Distanz und die Differenzierung. Vor allem letzteres. So entsteht doch ein sehr einfaches und schablonenartiges Bild von der politischen Geschichte des HipHops. Um nur ein Problem zu nennen: Einige Seiten widmen die Autoren dem Thema Sexismus im HipHop, denn es ist offenkundig, das weibliche MCs die Ausnahme waren und sind. Doch während die Autoren ansonsten immer schön nach jeweiligem Lager bzw. Phase unterscheiden, gibt es beim Thema Sexismus diese Unterscheidungen nicht mehr. Hier wird eher universal kritisiert. Damit verschwindet das Thema weitgehend in einer vermeintlichen Normalität. Dadurch lässt sich zwar das Bild einer heilen HipHop-Welt in den 80er und Anfang der 90er Jahre aufrechterhalten, politisch ist das aber eher blind. DSe, rock-links.de Hannes Loh, Murat Güngör: Fear of a Kanak Planet, HipHop zwischen Weltkultur und Nazi-Rap, 2002, Hannibal-Verlag, 19,90 Euro |