HILDEGARD KNEF
Singt Und Spricht Tucholsky
von Regina Sommerfeld
Bis zu ihrem Lebensende hat man versucht, die Knef in eine Schublade zu stecken. Doch immer wieder hat sie Türen keck, protestierend und selbstbestimmt aufgeschnippt, um dem repressiven Denken zu entkommen. Und als sie ihre Karrieren als Chanson-Sängerin aufgenommen hatte, hielt sie nichts davon ab, nach dem ersten Album 1963 (So oder so ist das Leben) mit netten, swingenden Potpourris eine Platte mit gesungenen und gesprochenen Stücken des großen deutschen Literaten Kurt Tucholsky (1890 – 1935) aufzunehmen. Seit dem 3. Februar 2003 gibt es das Originalalbum von 1965 erstmalig auf CD.

16 Tracks – davon 11 Gesprochene – plus 5 Bonustitel (von Kästner, Wedekind & Brecht) in genussreichen 66:24 Minuten. Die CD wurde von den Originalbändern in bester Klangqualität digital remastered und mit einem liebe- wie stilvoll gestaltetem Booklet versehen, das seltene schöne Fotos der Knef und interessante Liner Notes bietet.

Die gesungenen Titel sind zarte, doch intensiv interpretierte Chansons nach Texten von Tucholsky. Gegen die gesprochenen Titel verblassen sie etwas, da diese unübertrefflich sind: Knef pur und Tucholsky pur – das ist ironisch, nachdenklich, kritisch, amüsant und immer leidenschaftlich anti-deutsch. Jeder Text wird von Hildegard Knef auf ihre ureigene wunderbare Art gelesen, ob gereimt oder nicht, oftmals mit herrlichem Berliner Dialekt. Keine könnte das besser, weil man ihr einfach jede Zeile abnimmt. Die Frau ist glaubwürdig, authentisch, links.

Wie wird man Generaldirektor?, fragte sich Herr Tucholsky einst und Hilde erzählt uns was von Hierarchien und Titel-Hörigkeit. Sie kratzt an der Macht der Uniformierten, entlarvt Deutsche als „Bedientenvolk“ und Duckmäuser, wenn sie im Stück Der Kontrollierte Tucholskys Beobachtungen des täglichen Lebens wiedergibt. Es wird über Beziehungsstörungen lamentiert (Ein Glas klingt) und die Perspektiven so zurechtgerückt, dass mal alles gaaanz anders aussieht (Machen Sie das mal den ganzen Tag).

Ein Highlight ist sicherlich Die Unpolitische, wenn auch in wenigen Worten inhaltlich nicht zusammenfassbar. Ein fast erschreckendes Dokument für Tucholskys fortschrittlichen Geist ist der zeitlose Monolog An das Publikum, in dem sich der „Fluch der Mittelmäßigkeit“ in der bis heute unbeantworteten Frage „Bist Du wirklich so dumm?“ fortsetzt.

Es wird beim Hören dieser schönen CD nur allzu deutlich, wie sehr unserer Gesellschaft heute Menschen wie Kurt Tucholsky und Hildegard Knef fehlen.

Unter den ausschließlich gesungenen Bonustiteln sind zwei besonders hervorzuheben: Kleines Solo von Kästner mit der tiefsinnigen Zeile „Einsam bis Du sehr alleine und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit“ und natürlich Mackie Messer von Brecht.

Auch wenn oder gerade weil das alles kein Rock oder Pop ist, weder hip noch hop, diese Scheibe ist eine wärmste Empfehlung wert.

Regina Sommerfeld

2003, Telefunken / Warner Music 5050466-2857-2-0