Der Jung mit dem Tüdelband
Film und CD würdigen die jüdischen Musiker Wolf
Nach Ausstellung, Katalog und Film kommt nun der vierte Teil der Geschichte vom an der Ecke stehenden Jung mit dem Tüdelband. (1) "The Return of the Tüdelband" heißt die CD, die dieser Tage bei Trikont erschienen ist und auf der zahlreiche Hamburger Bands den Gebrüdern Wolf ihren Respekt zollen.

Auch wenn man nicht aus Hamburg kommt, dürfte der Song bekannt sein: "An de Eck steiht'n Jung mit'n Tüdelband, in de anner Hand'n Budderbrot mit Kees. Klaun, klaun, Äppel wüllt wi klaun, ruck-zuck über'n Zaun. Een jeder aber kann dat nich, denn he muß aus Hamborg sein". Wenn auch nicht gerade die Hamburger Hymne, so ist der Song doch als Gassenhauer und Volkslied über Generationen hinweg beliebt. 1907 getextet, komponiert und gesungen von den "Gebrüdern Wolf". Bereits 1895 hatten sich die drei stimmbegabten Söhne des Schlachtergesellen Isaac Joseph Isaac zusammengetan und tingelten als "Wolf-Trio" durch die Hansestadt. Doch erst 1911 - James hatte zuvor das Trio verlassen - kam es zum Durchbruch. In der Hamburger Lokalrevue "Rund um die Alster" sang das jüdische Brüderpaar "Snuten und Poten" (auf dem Sampler von Fink neu vertont) und landete damit seinen ersten Hit. Sie traten in Hafenarbeiterkluft auf, sangen Plattdeutsch und erzählten dabei jede Menge "Döntjes". Das eher proletarische Publikum war begeistert, und selbst Mittel- und Oberschicht waren von den "plietschen Hamburger Jungs" angetan. In den 20er Jahren folgten dann Plattenaufnahmen und Auftritte an fast allen Hamburger Bühnen; Gastspiele von Wien bis nach Bergen folgen.

Deutsch-jüdische Erinnerungsarbeit

Auch wirtschaftlich stieg die Familie auf. In den 20er Jahren gehören den Wolfs nicht nur zwei Theater, sondern auch das Hamburger Operettenhaus an der Reeperbahn.

All das endete 1933, als die Nazis in Deutschland die Macht übernahmen. Die bislang als Hamburger Originale beliebten Brüder erhielten Auftrittsverbot, der Besitz wurde konfisziert und das Operettenhaus übernahm G. Pohl - ein NSDAP-Mann.

Ein Teil der Familie emigrierte, zunächst nach Shanghai, dann Ende der 40er Jahre nach New York und schließlich 1953 nach Kalifornien. James Wolf, der ehemals am Trio beteiligte Bruder, wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert, ein Jahr später wurde er von den Nazis ermordet. Ludwig Wolf überlebte - dank seiner arischen Frau - in den Hütten der Hamburger Neustadt. Nach dem Krieg versuchte er noch einmal an die Erfolge von früher anzuknüpfen, aber ohne Erfolg. Im März 1955 starb er.

Wolf-Songs neu gemixt

Filmemacher Jens Huckeriede ist es zu verdanken, dass die Geschichte der Brüder Wolf nicht dem völligen Vergessen preisgegeben wurde. Schon Mitte der 90er Jahre hat er mit den Recherchen nach den Urhebern des "Jung mit dem Tüdelband" begonnen. Huckeriede hat - auf den Spuren der Familie in Shanghai und den USA - ihre Geschichte zusammengetragen. Dabei stieß er auch auf Dan Wolf, einen Urenkel, der in San Francisco als Rapper und Schauspieler sein Geld verdient. Außerdem findet er in Schweden und den USA zwei Enkeltöchter.

Mit zahlreichen Fotos, viel Textmaterial und den alten Platten fand im November 2001 eine Ausstellung über die Geschichte der "Gebrüder Wolf" im Hamburger Rathaus statt. Wenig später leisteten die beiden Schauspieler Peter Franke und Gerhard Garbers in den Hamburger Kammerspielen Erinnerungsarbeit und trugen zwölf Lieder sowie Sketche der Wolf-Brüder vor (gibt es auch als Doppel-CD zu kaufen). Und wiederum einige Monate später veröffentlichte der Verein Kunstwerk e.V. den Katalog zur Ausstellung. Auf der dazugehörigen CD sind sechs Wolf-Lieder in der Originalfassung zu hören.

Jetzt - im Herbst 2003 - ist nicht nur der Film fertig geworden, sondern auch bei Trikont die CD "Return of the Tüdelband" erschienen. Während der Film sich an die Hacken von Hip-Hopper Dan Wolf klebt und seine Suche nach den Hamburger Wurzeln seiner Familie zum Thema macht, ist die CD ein Mix und stilistisch ein fulminantes Crossover diverser Songs der Wolf-Brüder. Auf ihre ureigene Art widmen sich z.B. Fink dem Thema (Eckensteher), mischen ein wenig Folk und Country dazu. "Der Fall Böse" knallt einem eine drückende HipHop-Nummer in die Ohren. Bernadette Hengst, ihres Zeichens Vertreterin des Elektro-Gitarren-Pops Marke Hamburger Schule - diesmal sehr verhalten -, verlegt die Geschichte von "Spielbude (Reeperbahn) bis Balduintreppe (Hafenstraßenhäuser)" und schlendert textlich diesen Weg entlang an den Nutten vorbei bis zu dem Flüchtling, der in der ach so liberalen Hansestadt zum Schlucken von Brechmitteln gezwungen wird und daran stirbt. Die Hardcore-Ladys von TGV übersetzten das Ganze einfach ins Englische und rocken ab. Veranda Music, Dubtari oder Trainingslager heißen weitere der auf diesem Sampler versammelten Bands. Und - natürlich als Opener der CD - ist auch Wolf-Enkel Dan mit seiner Band Felonious und dem Titel "Tüdelbomb" dabei, in dem er auch die Geschichte seiner Familie und Nazi-Deutschland zum Thema macht: "I fed your culture, who fed me gas".

Wie gesagt: Ein gnadenloses Crossover. Aber eben das macht die Aktualität und Lebendigkeit aus und kann als gelungene Wiederbelebung so genannter Volkslieder angesehen werden.

DSe, www.rock-links.de

Diverse, The Return of the Tüdelband, www.gebruederwolf.de

Anmerkung:
1) Ein Tüdelband ist ein Metallreifen, mit dem früher die Holzfässer zusammengehalten wurden. Ein beliebtes Spiel war es, diese Reifen mit einem Stock über Straßen und Gehwege zu treiben.


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